//die monatliche Kolumne im Netz und nur auf diesen Seiten//

Der April 2010
Buffalo Springfield: "For What It´s Worth"

Es ist irgendwie einleuchtend, daß man für die Peter Maffay-LP "Steppenwolf" auf dem Trödelmarkt nie mehr als 50 Cent bezahlt, wogegen die Vinylausgabe von REM´s "Accelerate" 45 Euro kostet. Das liegt daran, daß Qualität eben ihren Preis hat. Dafür habe ich Verständnis und damit kann ich leben. Es ist jedoch für mich ein unerträglicher Gedanke, daß die CD "Befindlichkeiten einer Schnecke" von Tomte für das gleiche Geld zu haben ist wie "High Voltage" von AC/DC. Es wäre mehr als gerecht, wenn bessere Musik viel teurer wäre als schlechte, wenn man schräge Typen und ihren unermüdlichen Einsatz von Körper und Geist mit purem Gold honorieren würde und sich die freie Marktwirtschaft endlich dem biblischen Ethos unterwirft, in dem das Gute immer siegt. Das gilt natürlich auch für Teufelswerk. "High Voltage" von AC/DC läge dann irgendwo bei 80 Euro. Das ist vermutlich viel Geld für einen Raumpfleger, aber finanzieren ließe sich das System, wenn man als Ausgleich für den Konsum von Peter Fox ein entsprechendes Schmerzensgeld bekäme. Ich weiß, was Sie jetzt denken, aber Sie irren sich. Musik ist niemals, auf keinen Fall und auch nicht unter Umständen einfach nur Geschmackssache, denn es gibt ja Parameter, die die Propheten des Rock einst für jeden Deppen hörbar in der Historie hinterlassen haben. Man muß sich nur einmal die Mühe machen, die aufrichtige Musik von Ted Nugent mit dem unbeholfenen Geschrammel von Tocotronic zu vergleichen. Oder wenn wir, sagen wir, Blumfeld als Synonym für strunzdumme Texte bemühen, und diese, als genaues Gegenteil, denen von Kiss gegenüberstellen, oder die lyrisch beschlagenen Kassierer in Relation zu Muff Potter setzen, oder "Eisgekühlter Bommerlunder" zu "Anton aus Tirol", also, da fällt einem schon auf, was gehaltvoller ist und was nicht. Mir jedenfalls. Ich war schon vor Jahren spirituell in der Lage, für gute Musik nicht zu wenig Geld auszugeben. Das führte mich auf Trödelmärkten einmal in eine merkwürdige Situation und einmal fast in eine Schlägerei. Also lassen Sie uns kurz das Ruhrufer wechseln. Der Typ in Mülheim hatte genau das Album von Kevin Coyne, welches mir in meiner Sammlung noch fehlte und wollte 20 Euro dafür. 17 Euro hatte ich dabei. Es entstand folgender Dialog: "Die Platte hier soll 20 Euro kosten?" "Nee, ich kann sie dir auch billiger machen." "Nee, laß mal,, die ist schon 20 Euro wert." "Ich kann dir das Teil auch für 18 lassen." "Nee, geht nich." "Oder für 16." "Da steht aber 20 drauf..." "14. Okay? Dann nimm sie aber auch jetzt mit!" "Nee, dann lieber doch 16." "Okay, von mir aus." "Oder, warte, ich geb dir doch besser 17, ist das in Ordnung für dich und deine Familie?" fragte ich und schob dann schließlich mit der Platte und qualvollen Gewissensbissen ab nach Hause. Ich muß dazu sagen, daß mir beim Feilschen ein wenig die Übung fehlt. Außerdem möchte ich nicht, daß dem Verkäufer ein Nachteil entsteht. Zum Glück waren zwei Songs auf der Platte von minderer Sorte. Nicht auszudenken, wenn die Platte 20 oder gar 30 Euro wert gewesen wäre, ich hatte ja keine Adresse oder Bankverbindung von dem Mann! Ein paar Monate später blätterte ich in Wedau gedankenverloren in den Resten einer wirklich formidablen Discothek. Twisted Sister, Strassenjungs, Kraftwerk - alles dabei. Plötzlich blieb mein Finger bei R hängen und ließ sich auch nicht mehr nach V oder H bewegen. Der alte Feinschmecker hatte tatsächlich "How I Spent My Vacation" von Mitch Ryder dabei und wollte dafür gerade mal 2 Euro haben. Schnell registrierte der Profi-Seller meinen interessierten Blick. "Die ist gut, die Mitch Ryder" sagte die Wurst. "Ich weiß" sagte ich. "Willste haben? 2 Euro!" "Das ist doch wohl nicht dein Ernst?" "Wieso, ist doch ein fairer Kurs." "Nee, überhaupt nicht, so eine Platte verkauft man nicht mal eben so!" "Doch, kein Problem, ich hör das nicht mehr." "Das ist ja wohl kein Grund, so eine Platte verkauft man nicht. Schon gar nicht für 2 Euro." "Wieso, wieviel ist die denn wert?" "Mindestens 50. Schon allein für den Drum-Sound." "50 also, soviel gibst du mir dafür?" "Ich, nee, wieso, ich hab die ja schon!" "Und wat soll die Scheiße hier?" "Ganz einfach, du mußt die Platte teurer machen!" "Bist du bescheuert?" "Bitte..." "Komm, hau ab, du Vogel." Okay, vielleicht habe ich für meine Platten im Laufe der letzten dreißig Jahre mehr ausgegeben als nötig. Vielleicht habe ich auf dem ein oder anderen Konzert etwas zu vehement darauf bestanden, von der Gästeliste gestrichen zu werden. Vielleicht habe ich für CDs, die mir Bands schenken wollten, zuviel bezahlt. Vielleicht. Wenn ich das mal so überschlage, sind das ungefähr die 43.000 Euro, die mir jetzt in der Kasse fehlen. Wenn also irgendetwas irgendeinen Wert hat, dann ist es das sicher nicht. Auf Wiedersehen.

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Der März 2010
Pat Boone: "Love Letters In The Sand"

Vor kurzem fand ich beim Durchstöbern meines Altpapiers auch eine Mappe mit der gesammelten Post meiner damaligen Brieffreundin. Sie hieß Simone, war Mitglied einer lokalen Trachtengruppe und schrieb mir Sachen wie "gestern habe ich mich beim Überqueren einer glatten Straße langgelegt. War irgendwie stark". Unser inniges Verhältnis zueinander war geprägt von tiefem Vertrauen und Aufrichtigkeit, garniert mit einer Herzenswärme, wie man sie sonst nur unter Ehepaaren findet. "Mein lieber Tom, dein letzter Brief ließ gar nicht erst das Gefühl aufkommen, daß du mich verarschst." Ich frage mich heute, wie ich es geschafft habe, diese Frau zwanzig Jahre lang zu vergessen. Zumal ich beim Durchblättern der alten Briefe feststellen mußte, daß Simone zweifelsohne eine ganz außergewöhnliche Frau war. Sie schätzte Kino ("heute bin ich in "Eis am Stiel" gegangen. Ich fand den Film tierisch") ebenso wie Fernsehen ("Gruß an alle Frank Elstner-Fans!"), konnte aber auch den ruhigeren Momenten des Lebens etwas abgewinnen ("wenn es still ist, höre ich manchmal den Kalk rieseln"). Trotz ihrer vielschichtigen Interessen ("wenn ich schlanker wäre, würde ich durch fremde Betten toben") hatte sie bereits in jungen Jahren konkrete Vorstellungen vom Leben ("es klingt bestimmt schrecklich, aber mir ist nach einem Kind. Ich würde wahrscheinlich eine gute, allein erziehende Mutter abgeben"), die sie ohne kriminelle Energie ("Mordabsichten hege ich Moment überhaupt nicht") zielstrebig verfolgte. Zwar mangelte es ihr an Ironie ("Hallo, schöner Mann aus Duisburg") und an einer sauberen Handschrift ("Mein Vater wurde kastriert"), was sie jedoch mit Fachwissen ("Hut ab vor Tina Turner!") wieder wettmachte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich ihr geistig irgendwann nicht mehr gewachsen war. Glücklicherweise ließ dann mein letzter Brief gar nicht erst das Gefühl aufkommen, daß ich sie verarsche, denn sonst hätte ich mich nie wieder im Spiegel betrachten können. Im Nachhinein betrachtet kann ich nur staunen, wie sich im Laufe unserer Brieffreundschaft unverbindliche Floskeln ("wenn du Zeit und Lust hast, komm doch mal vorbei, wenn´s geht, ohne Harem") in zarte Poesie verwandelt hat ("na, du Kohlenpottpenner!") und dabei stets charmant ("Besoffene liegen mir nicht so, aber du bist natürlich eine Ausnahme") und mittfühlend ("bist du eigentlich smoggeschädigt? Aber ich glaube kaum, daß Schäden bei dir noch auffallen") blieb. Leider ließen ihre Briefe bei mir erst gar nicht das Gefühl aufkommen, daß sie mich verarscht - im Gegenteil: Simone war stets ein solider Ratgeber ("und ess nicht, soviel, um deine Wespentaille für die höherschlagenden Frauenherzen instand zu halten"), Kenner der Materie ("Kaufst du deine Platten immer im Kilo?") und Freund des Hauses ("Ich finde, männliche Männer haben meist Muskeln, brauchen ja nicht viel zu sein"). Leider lernt man coole Leute oft erst zu schätzen, wenn man den Kontakt wegen Uncoolheit abgebrochen hat. Liebe Teilnehmer des 1975er Blockflöten-Workshops Duisburg-Süd - ich vermisse Euch!

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ARCHIV:

Der Januar (2010) - Wolfgang Petry: "Ruhrgebiet"
Der Dezember (2009) - Karussell: "Ehrlich will ich bleiben"
Der November (2009) - Budgie: "You´re The Biggest Thing Since Powdered Milk"

Der Oktober (2009) - Alice Cooper: "Is It My Body"
Der September (2009) - Frauenarzt: "Das geht ab"

Der August (2009) - Lady Gaga: "Poker Face"
Der Juli (2009) - Sound: "Mick Jagger & Me"

Der Juni (2009) - Billy Bremner: "Tired And Emotional (And Probably Drunk)"
Der Mai (2009) - Gerd Müller: "Dann macht es bumm"

Der April (2009) - Ideal: "Berlin"

Der März (2009) - Buddy Holly: "Peggy Sue"
Der Februar (2009) - Kid Rock: "All Summer Long"

Der Januar (2009) - Kate Perry: "Hot N Cold"
Der Dezember (2008) - Johnny Logan: "What´s Another Year"

Der November (2008) - Pink: "Dear Mr. President"
Der Oktober (2008) - Peter Gabriel: "Buko"

Der August (2008) - Del Shannon: "Stranger In Town"
Der September (2008) - Vicky Leandros: "Ich bin"

Der Juli (2008) - Bon Jovi: "It's My Life"
Der Juni (2008) - Johnny Cash: "Peace In The Valley"

Der Mai (2008) - Johnny Cash: "Hurt"
Der April (2008) - Stiff Little Fingers: "Doesn´t Make It All Right"

Der März (2008) - Singspielgruppe Remscheid-Nord feat. Gabriele Schulte-Poppelmann:
"Sag mir, wo die Blumen sind"
Der Februar (2008) - Pink Floyd: "Money"

Der Januar (2008) - Guns´n´Roses: "Welcome To The Jungle"
Der Dezember (2007) - Zwakkelmann: "Tabularasa machen"

Der November (2007) - The Doors: "Riders On The Storm" (Vinylversion)
Der Oktober (2007) - James Blunt: "1973"

Der September (2007) - The Barracudas: "Summer Fun"
Der August (2007) - Die Ärzte: "Männer sind Schweine"

Der Juli (2007) - The Police: "Bring On The Night"
Der Juni (2007) - Brinsley Schwarz: "(What´s So Funny ´Bout) Peace, Love And Understanding"

Der Mai (2007) - Shania Twain: "Rock This Country"
Der April (2007) - Take That: "Patience"