//die monatliche Kolumne im Netz und nur auf diesen Seiten//

 

Der August 2009
Lady Gaga: "Poker Face"

Gestern wurde ich zum ersten mal von einer Frau über 50 angebaggert. Ich dachte, ich könnte diese Episode in meiner monatlichen Kolumne in´s Scherzhafte ziehen, aber Amors Pfeil hat Spuren hinterlassen. Seitdem bin ich nicht mehr derselbe. Gefühle schön und gut, aber Wolke 7 ist ein Platz mit Abendsonne. Der Himmel voller Geigen, ach Herzblut, kannst du schweigen, wenn sich Verliebte wiedersehen, Wunder geschehen, du Göttin du, kann ja sein, daß sie sich für Poesie interessiert. Oder für Atomkraft. Aber habe ich für so´ne Nummer noch die Power?
Scheiße, ich kann nicht verhehlen, daß ich hochgradig verwirrt bin.
Immerhin handelt es sich bei der Frau nicht um irgendein Wald- und Wiesenhühnchen, sondern um Angela Merkel.
Angela, ich, ein laues Sommerlüftchen. Es mußte einfach passieren. Schon auf dem Plakat, das in der Woche zuvor an jedem zweiten Laternenmast pappte, lächelte sie mich mehr als freundlich an. Mit dem Feuer, das noch in ihr loderte, und dem Blick, der Lava war. Sie kam auch gleich zur Sache. Unter ihrem hungrigen Gesicht standen bereits die Konditionen für unser erstes Date:
"Wir haben die Kraft CDU Die Kanzlerin kommt 16.8. 13.30 Uhr Duisburg Am Seehaus Wedau neben der MSV-Arena Vorprogramm ab 11.00 Uhr mit Live-Musik".
Und so tat ich, was ein Mann manchmal tun muß. Ich hatte auch gar keine Angst, denn es war nicht meine erste CDU-Veranstaltung, die ich besuchte. Schon vor zwanzig Jahren war ich Fan von schmissigem Entertainment. Wer weiß, hätte ich damals mit der Tennis-Frau aus der Ortsgruppe Duissern-West geschlafen und nicht aufgepaßt, wäre ich im Jahre 2009 vermutlich auch in einem schwarzen Anzug zu Angela Merkel gegangen. Warum das Volk Trauer trug, entzog sich meiner Kenntnis. Vielleicht verdirbt Geld nicht nur den Charakter, sondern auch den Geschmack.
Während sich die Klappspaten mit Prosecco inszenierten, verließ ich das Innere von Kohl´s Cage, um mich etwas abseits unter die Working Class zu mischen.
Von hier aus hatte ich auch einen guten Blick auf Angelas Profil. Dreißig Meter Luftlinie zur Herz-Dame, in der Lunge den Geschmack von Freiheit und Abenteuer - alles in allem ein prickelndes Gefühl. Dann plötzlich "Start Me Up" von den Stones. Sie kam!
Begleitet von unserem Oberbürgermeister, donnerndem Applaus und vereinzelten "Buh!"-Rufen schritt sie auf die Bühne, sah sich um, lächelte und winkte. Unter dem weißen Zeltdach sahen die beiden Top-Politiker etwas verloren aus, doch zum Glück hastete Zweitliga-Trainer Peter Neururer auf die Bretter, um in grinsender Demut der Dame die Hand zu schütteln, was selbige mit einem demütigen Grinsen über sich ergehen ließ. Nur wenig später trat unser nicht grinsender Oberbürgermeister vor das Mikrophon, um dem Fußvolk den Unterschied zwischen schlauen und doofen Parteien zu erklären. Kurz, bevor er damit fertig war, schlich Angela zielstrebig zum rechten Bühnengeländer, um versonnen in die Richtung meines Kopfes zu spähen. Als sie mich nach ein paar Sekunden unter den motzenden Rentnern und dreckbeschmierten Kindern ausgemacht hatte, sah sie mir tief in die Augen und winkte mir zärtlich zu. Ich konnte natürlich nicht zurückwinken, hier, vor allen Leuten, nein, das war wohl eher eine Sache, die nur uns beide betraf.
Zudem mich ihr Blick, das muß ich zugeben, zutiefst versteinerte. Noch während ich erstarrte, lief mir bereits der Schweiß über die Stirn. So wie damals, als im Innenraum der Grugahalle plötzlich Vicky Leandros singend und klatschend mit lustbetonten Sirtaki-Steps funky auf mich zutänzelte. Aber hier war es keine Bouzouki, die durch die Sommernacht klang - hier war es Angela Merkel, die meine verhaltene Reaktion wohl bemerkt hatte, sich lächelnd vor das Mikro stellte und mit dem sicherlich nicht falschen Statement "ein schöner Rücken kann auch entzücken" der Erotik eine Chance gab. Vermutlich hatte sie innerlich gespürt, daß ich ihren Rücken unter dem rosa Jäckchen nicht sehen konnte und wollte mir unauffällig signalisieren, daß mit diesem Rücken alles okay ist. Sicher, ich hätte ihr "ein schöner Bauch auch" zurufen können, aber dann wäre die Veranstaltung ausgeartet. Außerdem war ich ja erstarrt, was Schlagfertigkeit nicht unbedingt vereinfacht.
Ein paar Minuten später fuhr Angela wieder nach Berlin und ich zum Stadtwerke-Familien-Tag.
"Die Liebe ist ein Heilbutt mit Rosinen" hab ich mal irgendwo gelesen. Die Frage ist halt nur, wer den Fisch bezahlt.
Ich hab mich jedenfalls bislang noch nicht bei ihr gemeldet. Ich möchte da lieber erstmal noch ein paar Nächte drüber schlafen. Schließlich verpflanzt man einen alten Baum nicht mal einfach so. Zumindest nicht einen mit so einer kaputten Krone. Da muß man gießen, düngen und ab und an die Blätter putzen. Nicht, daß ich das Angela nicht zutraue, aber für sowas muß man schon oft im Wald stehen. Und da hat Bärbel Höhn echt die besseren Karten.

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Der Juli 2009
Sound: "Mick Jagger & Me"

Lieber Michael,
vor ein paar Tagen mußte ich in der Zeitung lesen, daß du angeblich tot sein sollst, was ein guter Anlaß ist, dir mal wieder zu schreiben. Eigentlich finde ich es nicht so prall, derart persönliche Dinge über Dritte zu erfahren, aber ich weiß ja, wie schreibfaul du bist. Vermutlich habe ich deshalb auch nie eine Antwort von dir erhalten, denn wir haben uns ja nicht verkracht oder so. Zumindest nicht, daß ich wüßte. Es sei denn, du nimmst es mir noch übel, daß Walla jetzt bei uns Bass spielt und nicht in deiner Band, aber Michael, du kennst mich. Niemals und auf gar keinen Fall würde ich, warte mal, es hat geschellt, nee, nur der Nachbar. Wie sind eigentlich deine Nachbarn so? Hast du dich schon eingelebt auf Pluto?
Mein Gott, wie die Zeit vergeht! Ich hoffe, du kannst dich überhaupt noch an mich erinnern?! Du hattest in den Neunzigern mal einen Auftritt bei "Wetten daß" in Duisburg, und da ich in dieser Stadt wohne, haben sich unsere Wege endlich einmal gekreuzt. Abgesehen von der menschlichen Komponente verbindet uns natürlich auch die Musik. Du weißt ja, daß ich in einer Rockband singe, und Du machst eben dein Ding, was ich auch okay finde, wenn es was abwirft. Ist ja immer so eine Sache mit der Gage. Manche Veranstalter sagen dir hundert Euro zu und geben dir am Ende nur siebzig, aber da hab ich einen guten Tip für dich: Wenn dir einer dreißig Euro weniger gibt, such backstage einfach nach Wertgegenständen, die du dafür einsackst. Du mußt natürlich ein Behältnis mitbringen, in dem du die Sachen heimlich in deinen VW-Bus schmuggeln kannst - am besten einen Rucksack oder eine Aldi-Tüte, das merkt keine Sau! Vorher solltest du aber die anderen Bands und das Schnorrer-Volk aus dem Backstageraum rausschmeißen, damit dich keiner verpetzt. Thrill ein bißchen rum, es lohnt sich! Die meisten Veranstalter haben Bananen, Glühbirnen und Sofakissen, also laß dich nicht irritieren von sprechenden Espresso-Maschinen und silbernem Eßbesteck. Siehst du, das ist das Schöne am Musikmachen - wir sind alle Kollegen. Das ist wie bei Taubenzüchtern, Manta-Clubs oder Schalke-Fans. Da hilft man sich. Bist du schonmal in einem Kleingartenverein aufgetreten? Nein? Mußt du unbedingt mal machen - nette Leute, lecker Bratwurst und Bier vom Faß! Und fünfzig Leute kommen immer, da hast du die Hütte auf jeden Fall voll. Programmmäßig muß man sich natürlich etwas anpassen, aber dir als Profi brauche ich das wohl nicht zu sagen. Immer daran denken: Die Leute wollen tanzen! Wenn die Stimmung mal im Keller sein sollte, spiel "Viva Colonia" oder "Lebt denn der alte Holzmichl noch", echt, klappt immer, bombensicher, kannste im nächsten Jahr wieder da auftreten. Paß aber auf, daß du den GEMA-Bogen korrekt ausfüllst. Die Nettovergütung für angeschlossene Mitglieder beträgt 7 Prozent, bei Traditionals muß man abwägen, Veranstalter ist klar, Spielzeit würd ich schätzen.
Das sind auch wieder siebzehn Euro und ein bißchen Luxus als Künstler darf doch wohl sein, oder? Ich weiß nicht, wie es bei dir ist, aber die Zeiten, daß man für eine Kiste Freibier gespielt hat, sind bei mir vorbei. Ein paar Schnittchen muß der Veranstalter auf jeden Fall noch draufpacken, sonst geht gar nichts. Freiwillig rücken die natürlich erstmal nichts raus. Da mußt du bad sein bei Verhandlungen, Michael, auch mal dangerous mit der Faust auf den Tisch hauen, sonst bist du ratzfatz off the wall.
Kannst du dich noch daran erinnern, was das früher immer für eine Scheiße war mit den selbstveranstalteten Konzerten? Gerade die in den Jugendheimen. Immer Ärger mit dem Alkoholausschank. Und dann war eine Kloschüssel kaputt und du hattest den Mist auch noch an der Backe. Zeitung anrufen, Konzert ankündigen. Zeitung kam raus, Konzert stand drin, aber der Bandname natürlich wieder mal falsch geschrieben. Kein Wunder, daß einen keiner kannte.
Man durfte ja seine Plakate auch nirgendwo hinhängen, gab immer Ärger mit dem Ordnungsamt, die waren da ja rigoros. Wie machst du das eigentlich, wenn du mal in Moskau oder Bukarest spielst? Kennst du da Leute?
Ich kenn jetzt jedenfalls einen guten PA-Verleih in Rheinhausen. Die haben auch vier mal fünf-Meter Bühnen, falls du mal was Größeres planst. Die bringen dir das Zeug direkt nach Hause, aber selber abholen ist natürlich billiger. Die machen auch viel für Jordan Records, der Chef von denen spielt bei den Nilistics, traditioneller Delta-Blues, wenn du willst, kann ich dir mal die Nummer geben.
Mann, man muß echt Netzwerke aufbauen, sonst läuft wirklich gar nichts. Du checkst für mich was aus in Bahrain und ich laß für dich günstig CDs pressen, verstehst du?
Wenn du mal wieder eine Platte rausbringst, mach direkt 1000. Das ist günstiger als 500, aber wir können auch mal ´ne Split-Single machen, was weiß ich, jeder covert einen BAP-Song oder so, ist bestimmt cool. Leider macht die Stadt ja nichts mehr. Kohle vom Kulturamt zu bekommen, ist wirklich schwierig. Ich hab gehört, daß Peter Bursch gefördert wird, aber das ist natürlich schon Oberliga. Der hat jetzt so ´ne All-Star-Band mit den ganzen Strategen von damals, also Ralf, der dicke Stemmler, Katsche am Bass, Rosi wie immer Backing-Gesang, Gurki an der Schießbude und die Bachmann-Brüder. Die meisten wirst du noch von früher kennen, nehme ich an, bis auf Lello Sabotta, der war ja bei James Brown. Alles in allem gestandene Musiker. Vielleicht nicht so gestanden wie wir zwei Hübschen, aber wenn da mal einer ausfällt, Schnupfen oder so, könnte man erstmal als Vertretung einspringen. Zwar nur für Spritgeld, aber man hätte zumindest schonmal einen Fuß in der Tür. Es geht echt alles über Vitamin B. Wahre Künstler wie Du und ich haben es zunehmend schwerer. Äußerlichkeiten werden immer wichtiger. Wenn einem die Nase nicht paßt, hast du schon verloren.
Tanzt du noch so gerne? Gut. Ich glaube, ohne Standard, Latein und Disco-Fox kann man echt einpacken. Ich hab jetzt übrigens einen coolen Move drauf, da zieh ich den Arm so schräg nach unten, während ich seitlich zum Publikum stehe, absolut irre! Du wirst umfallen, wenn du das siehst!
Du hast demnächst noch ein paar Gigs in London, hab ich gehört. Wahrscheinlich wäre Kamp-Lintfort um einiges cooler gewesen, aber England ist auch nicht übel. Ich glaube, Engländer gehen entspannt mit der Schweinegrippe um, aber sei vorsichtig in London, wenn du abends mit der U-Bahn fährst.
Wenn du U-Bahn fahren willst, mach das besser in der Hocheifel, aber geh da auf keinen Fall in die Disco. Hab gehört, die mischen einem K.O.-Tropfen in den Drink. Am besten immer aus der Flasche trinken! Wicküler ist ganz lecker, aber man kriegt am nächsten Tag ´ne dicke Birne.
Was soll´s, wir kommen schon irgendwie klar. Ich glaube sogar, daß wir Musiker die einzigen sind, die von der Wirtschaftskrise profitieren.
Gerade deshalb sollte man sich in Zukunft mal öfter sehen, finde ich. Erfahrungsaustausch, Kontakte, Sonstiges, Hilfe braucht ja irgendwie jeder. Wenn du willst, kann ich auch mal auf einer Platte von dir mitsingen oder dir einen Text schreiben, kein Problem, ich hab ja schon früher bei PASSION PLAY die Lyrics gemacht. Klar, ich bin jetzt berühmt, aber privat bin ich wie du ein ganz normaler Mensch geblieben. Du brauchst wirklich keine Angst zu haben, daß ich Star-Allüren hätte oder irgendwie abgehoben wäre, nee nee, keine Sorge, ich weiß ja, wie du dazu stehst.
Man darf sich ruhig mal gegenseitig einen Gefallen tun, das ist sogar normal, wenn man sich mag. Und vergessen wir bitte nicht unsere Freundschaft, besser gesagt: Vergiß du die nicht!
Genaugenommen war ich immer wie ein Sohn zu dir, nur ohne diesen Sorgerechtsscheiß.
Michael, ich lege dir daher noch einen Flyer hinzu, eine Einladung zum Musiker-Stammtisch, vielleicht hast du ja mal Bock zu kommen.
Falls du derzeit verhindert bist, kein Problem. Dann holen wir das einfach zu einem späteren Zeitpunkt nach. Da kannst du dich jetzt schon drauf freuen.

 

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