THE LONG RYDERS
TWO FISTED TALES
(USA 1987)

Es war der Morgen im Leben eines Mannes, an dem er beim Tischdecken weiß, daß er zum Axtmörder wird, wenn er nicht bis zur zweiten Tasse Kaffee sein Leben neu geordnet haben wird. Der Mann war ich und der Grund für Apocalypse now ein barbarischer Harndrang.
Ich saß ziemlich verknotet am Eßtisch und kaute an meiner Schnitte Brot herum, während die acht Flaschen Alt vom Vorabend längst aus meiner Blase in den Kopf geschossen waren und bereits von innen gegen die Trommelfelle drückten. Das Bad war natürlich - wie jeden Morgen von fünf bis neun- vom Rest der Familie besetzt und da ich nicht der Typ bin, der seiner Mutter in den Hausflur pißt, war ich ziemlich angeschissen. Ich hatte keine Angst vor einem Herzinfarkt oder Schlaganfall, nein, mir war klar: Ich würde einfach platzen. Der Tod war ein Meister aus Duisburg und das hier würde seine beste Nummer werden.
Ich nippte an meinem zweiten Kaffee. Jo. Zwanzig Jahre im warmen Nest waren genug. Ich glaube, es war der berühmte Rapper Pilleman-Schnappgesicht, der sagte "Yo motherfucker, listen to wat I say, need an own flat dat is easy to pay, don´t mind if dat´s in Erftstadt or Brügge, lay down bitch, cause I am feeling fucking flügge" und mich damit meinte.
Eine eigene Bude mußte her! Per Express! Ein Quantensprung auf Socken, da ich weder Geld noch Moos hatte. Egal. Große Ansprüche hatte ich nicht, ich wollte nur meine Platten würdevoll unterbringen können. Bißchen was zum Sitzen, vielleicht noch´n Bett, fertig. Ich konnte es kaum erwarten. Wenn man mir entsprechende Angebote gemacht hätte, wäre ich in derselben Minute unter den Rock eines Weather Girls eingezogen, hätte mich in der Toilette vom Nikolaus-Grill eingemietet und mein Domizil im Lieferwagen von Herberts Hühnchenfarm aufgeschlagen, echt, mir war alles recht, Hauptsache eigene Wohnung.
Wenig später hatte ich eine. Sie lag eingebettet zwischen Stahlwerk und Kläranlage und meistens war es besser, das Fenster geschlossen zu lassen. Deshalb putzte ich die Dinger erst gar nicht und fand es auch irgendwie zynisch von den anderen, in dieser Umgebung die Flurwoche zu machen. Wenigstens brauchte ich keinen Kohleofen, Fernwärme war in the house. Alles in allem eine Bumsbude, Parterre rechts, die von innen schimmelte, weil von draußen zuviele Hunde dagegen pißten.
Um unbeschadet nach Aldi zu kommen, war es ratsam, sich an den Laternenmasten nicht mit der Lektüre von kuriosen Erkenntnissen zur Lage der Nation aufzuhalten (Andi nimt Wiagra um seine Mutter zu fiken) und den Altglascontainer weiträumig zu umgehen. Denn dort verbrachten Krakowski und Pfeifer, den hier alle Matschbirne nannten, weil er er eine Matschbirne war, ihr Leben und führten als Konversation getarnte Selbstgespräche.
Wenn es Leute gibt, deren Existenz primär dazu dient, den Unterhalt ihrer Psychiater zu sichern, dann hatten sie sich hier zusammengerottet. Hier wohnten die einfachen Leute mit ihren schweren Neurosen. Und ich war gerade mal wieder arbeitslos. Und meine Freundin war futsch. Und dann kam Lothar.
Wir fanden, daß es eine gute Idee war, sich einen anzuzwitschern (Restetrinken), das Gesicht zu wahren (Tabakkrümel) und zur Aula des Gymnasiums zu schreiten (torkeln), das uns nach Jahren demütigender Behandlung noch eine Menge schuldig war (Respekt).
Im Nachhinein muß ich zugeben, daß unser Erscheinen das Schulfest bereicherte wie ein Kartoffelsack den Arsch von Heidi Klum, aber an jenem Nachmittag hatten wir ein Oberwasser, das man noch in Gütersloh riechen konnte, wenn wir den Mund aufmachten. Nachdem wir jeden Ex-Lehrer beschimpft hatten, der uns über den Weg lief, machte sich allgemeine Langeweile breit. Wir warfen unsere halbgerauchten Kippen zusammen mit irgendwelchen Flugblättern in jeden großen Stand-Aschenbecher und versuchten anschließend, die Feuer wieder auszurotzen. In den handgestoppten vierunddreißig Sekunden, die der beste von uns dafür benötigte, erfanden wir die Generation X. Nicht die erste Idee, die uns später von irgendeinem Penner wieder geklaut wurde.
Ich glaube auch, daß wir es waren, die erkannten, daß weder das Stehen im Qualm, noch das Sitzen in Bierlachen Ereignisse sind, die die Lebensqualität nachhaltig verbessern.
Die Leute um uns herum fingen an zu tuscheln. Es stellte sich heraus, daß in einer halben Stunde in der Aula ein Musikquiz mit tollen Hauptgewinnen stattfinden sollte. Im selben Moment meldeten wir uns beim nächstbesten Idioten dafür an. "Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Euch ein Fachgebiet aussuchen" piepste der Schrat. Lothar und ich grinsten uns an. Damit standen die Sieger bereits fest.
Aber bei allem Triumph, der uns erwartete, wollten wir Sportsgeist zeigen und die Sache mit dem uns angemessenen Niveau durchziehen. Sollte sich das Kroppzeug mit Fragen herumschlagen, bei welcher Band Phil Collins Schlagzeug spielte oder wie Marius Müller mit Nachnamen heißt, uns war klar: Denen da oben würden wir ordentlich einen einschenken - einen ganzen Kelch voller Wissen wollten wir dem Volke kredenzen. Wenn sie Fachgebiete brauchten, waren sie bei uns an der richtigen Adresse.
Nach kurzer Konferenz entschied sich mein Partner für sein Ressort, ein Medley aus JEFFERSON AIRPLANE-Tune In und GRATEFUL DEAD-Turn On, gewürzt mit einen saftigen 68er Frisco Drop-Out und Rudi Dutschke Experience.
Hörte sich schonmal ganz gut an.
Ich hingegen hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wieviel Eier Bauer Williams in Georgia im Sack hat und nach wieviel Gläsern Jack Daniels man besoffen ist. Das mußte ich auch wissen, denn ich war ja der Southern-Rock-Experte, sah mich aber gleichzeitig auch als Professor für Rock im Ganzen, also Zeug wie VENOM, SWEET und TROGGS. Darüber hinaus
konnte ich ein bißchen was zu bedruckten Innentaschen von EMI Electrola erzählen und sagen, welche Unterwäsche am besten zu Kate Bush paßt. Wer sollte uns da noch besiegen?
Als wir auf die Bühne stiegen, stellte sich jedoch heraus, daß man die Fachgebiete gestrichen hatte und wir gegen zwei Schwestern antreten mußten, die zusammen etwa so alt waren wie mein Joghurt im Kühlschrank. Die Aula war, wie wir, gerammelt voll und, entgegen jeglicher Logik, massiv gegen uns. Der Showmaster stellte die erste Frage.
"Wie hieß die Band, in der Phil Collins Schlagzeug spielte?"
Die beiden Mädchen glotzten doof aus der Wäsche, wir ließen lässig die richtige Antwort in den Saal zwillen und wurden dafür ausgebuht. In dieser Tour ging es weiter.
"Wer ist der Vater von Pippi Langstrumpf?"
Wir gewannen 10:0 und hatten kein Problem damit, die Babys von der Bühne zu fegen. Zur Belohnung gab es je einen Gutschein über zwanzig Mark, einzulösen im Plattenladen in der City.
Gleich am nächsten Tag stand ich dort auf der Matte und brachte die neue LONG RYDERS-LP heim zu Daddy. Ich hatte gelesen, daß die Künstler irgendwas mit Gitarren machen, auf dem Cover gesehen, daß sie vernünftig frisiert sind und gehört, daß es altmodische Säcke seien.
Da das 80er Jahre-Menü, speziell in der Mitte des Jahrzehnts, eher die Klientel bediente, die weiße Pumphosen trug, "Police Academy" konsumierte und genau die Musik hörte, die sie bei McDonalds zu Essen bekam, bestimmten Sequenzer und Elektrodrums den Sound. Es war 1987 verhältnismäßig schwierig, an akustische Naturkost zu gelangen, die zu Bier und Zigaretten paßt und beim Ficken nicht stört.
Die LONG RYDERS aus Kalifornien spielen sich auf wundersame Art und Weise durch ihre eigenen Roots, ihr relaxt swingender Countryrock speist sich aus dem Testament der BYRDS, der krähenden Adoleszenz von CREEDENCE CLEARWATER REVIVAL und dem ganzen Psychedelic-Zeug, das man hört, wenn man cool ist. Nach zwei Platten bei einem kleinen Minorlabel und dem Vorgänger "State Of Our Union" bei der Industrie besaß "Two Fisted Tales" alle Zutaten für den großen Wurf.
Elf Songs, darunter eine herzzerreißende Coverversion von "I Want You Bad" erzählen Geschichten vom warmen Büffet verletzter Gefühle und gesundem Exzess, mit einem wehmütigen, melancholischen Anstrich auf Hochglanz poliert. Filme, Episoden, Shortstories, großes Kino, inszeniert mit twanging guitars und in sich windenden Satzgesängen. Man kann drauf kommen:
Die LONG RYDERS hatten Klasse.
Leider hatten sie keine Hörer und lösten sich wenig später auf, um mit anderen Projekten (u.a. die COAL PORTERS) ähnlich erfolglos zu bleiben. Ich tröstete mich mit dem Vermächtnis der sympathischen Loser. "Two Fisted Tales" rettete zwar nicht mein Leben in einer harten Zeit, half mir aber, einen Lifestyle zu pflegen, der die Menschheit vor dem Schlimmsten bewahrt. Eins mit mir und meinen Countryrock-Platten führte ich ein entspanntes Leben mit schnippenden Fingern.
Ich hatte soviel Groove, daß ich das junge Fräulein, das eines Tages unangemeldet vor der Tür stand, locker dazu überreden konnte, hereinzukommen und mit mir drei Kannen Kaffee zu schlabbern. Sie erzählte, ich dichtete, sie lächelte, ich strahlte, sie bat mich um meine Personalien und am Ende hatte ich den Ratgeber für die Frau abonniert.
Ich beschloß, mir eine neue Wohnung zu suchen.
Kurz vor meinem Auszug bekam ich dann doch noch Kontakt mit dem debilen Ehepaar, das über mir wohnte und dem ich zwei Jahre lang erfolgreich aus dem Weg gegangen war. Es war an dem Abend, an dem nach einer Sintflut der Keller unter Wasser stand und sich die ganze Brut dort versammelte, um das Wasser mit Eimern wieder abzuschöpfen. Die Brühe konnte in meinem Keller eigentlich nicht viel zerstören, da sich dort außer meinem Fahrrad, ein paar leeren Bierkästen und einer robusten Werkbank eigentlich nichts befand, woraus man einen Hauptsatz bilden könnte. Abgesehen von meinen Biologie-Sammelmappen im untersten Fach der Werkbank vielleicht, in diesem Fall Zeitschriften, die sehr anschaulich Frauen zeigen, wie sie sich Bananen in den Mund schieben, mit Gummischläuchen schmusen oder einfach nur so nackt sind.
Als man bei mir Sturm schellte und von draußen "schnell, der Keller steht unter Wasser" bellte und sich auch nicht von meinem "is egal" verscheuchen ließ, ging ich runter, schloß meinen Keller auf und watete mit einer Schüssel durch die an´s Schienbein schwappende Suppe. Im selben Moment kam meinen Nachbarn auch schon Miss April entgegen, die aufgeweicht in mehreren Seiten auf dem Wasser schwamm. Der Mann, ein aufrechtes Kerlchen vom Geschmackstyp Horst, sammelte Blatt für Blatt zusammen und übergab sie lächelnd dem ehrlichen Besitzer. Ich war etwas verlegen, bedankte mich aber artig und plauderte noch ein Weilchen mit dem freundlichen Hausbewohner. Wir stellen fest, daß wir den gleichen Geschmack haben, zumindest was Frauen betrifft, die man sowieso nicht kriegt.
Ein paar Tage später saß seine Frau bei mir in der Küche. Ich hatte sie hereingebeten, bevor sie meine Wohnungstür völlig demolieren konnte oder sich an den Holzsplittern vielleicht noch verletzte. Es roch nach einem schmutzigen Mittwoch. Sie hatte sich in Schale geworfen, trug einen grauen Trainingsanzug mit einem Riesenpißfleck und war total besoffen. Wie sich herausstellte, sollte ich ihre Eheprobleme lösen. Ich stellte ihr eine Flasche Wein hin und ließ sie labern. Als am späten Abend ihr Gatte durch den Hausflur polterte und nach seiner Ulla schrie, hatte ich das dumpfe Gefühl, daß sich unsere zarte Männerfreundschaft verflüchtigen könnte, wenn sie auf allen Vieren aus meiner Wohnung kriecht. Ulla und ich beschlossen, aus unserem Rendezvous ein Geheimnis zu machen und es für uns zu behalten.
Kurz darauf zog ich mit Sack und Pack aus. Die LONG RYDERS nahm ich mit, Miss April legte ich Horst und Ulla auf die Fußmatte. Die Ehe war sowieso im Arsch.

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