JEFF DAHL
WICKED
(USA 1991)

"Seltsam", dachte John McForthethunthorpson-Schnarrenberger, den sie alle nur John nannten, als er sich das Haus betrachtete. Die alte Villa war baufällig und sah aus, als könnte sie etwas Spachtel vertragen. Drei umgestürzte gelbe Tonnen, die der Wind zwischen seinen Zähnen kaute, warfen ein eindeutiges Bild auf die Qualität der Müllabfuhr von Mountain Valley, einem Haufen, dem John lange Zeit selber angehört hatte. Auf den ersten Blick erkannte er, daß hier etwas nicht stimmte.
Er schlug den Mantelkragen hoch, steckte sich ein Schwarze zwischen den zusammengepreßten Lippen und pustete den Rauch in die stockfinstere Nacht. Kein Mensch war auf der Straße, die fünf Meilen nördlich von Mountain Valley verlief und auf der man im Sommer für ein paar harte Dollar jede ausgefranste Nutte dazu bringen konnte, Free-Jazz zu singen, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Johns Verstand arbeitete messerscharf, so wie man es von einem guten Mann erwarten konnte. Über sich hörte er das Heulen der Kojoten, was nur wenig Sinn macht, da Kojoten im Normalfall Bodentiere sind.
Langsam kroch die Kälte in seine Knochen, also schmiß er einen Trip auf die Schnelle. Wenn er nur wüßte, wer ihn zur Party eingeladen hatte! John sortierte seine Festplatte, ein Gigabytebaby aus halbleitendem Hackfleisch. Entweder war es eine Lady oder Texas Kid - alles andere schloss er aus. Und, verdammt, seine Mutter konnte es nicht sein. Sie war gestorben, als er fünf war. Dumme Geschichte, damals. John spuckte auf den Boden. Ein altbekanntes, pelziges Gefühl legte sich über seine Zunge, die schon alles geleckt hatte, was damals in der Akademie nicht rechtzeitig auf den Bäumen war. Zwanzig Grad minus. Er beschloß, das Haus zu betreten. Die Zugverbindung war sowieso Scheiße und John war ein Vagabund, den es nie lange an einem Ort hielt. Sein dichtes, schwarzes Haar bot wie immer perfekten Halt. Seit er Shampoo verwendete, fühlte sich seine Matte einfach besser an.
"Seltsam", dachte er, wiederholte sich und hielt dies für Lifestyle. Dann legte er seine Hand auf die Klinke und drückte zu. Wenn dies eine Falle war, würde er in den nächsten Minuten sicherlich ein paar auf die Mappe bekommen.
Als er das Haus betrat, hörte er Musik aus der Stereoanlage und sah mindestens 34 Girls, die man ficken konnte, ohne sich zu blamieren. Am Ende des Raums stand ein riesiges Buffet, an dem bereits Keith Moon stand und Löcher in den Dunst furzte. John McForthethunthorpson-Schnarrenberger, der nie ein Mann großer Worte war, schlenderte zur üppig gedeckten Tafel und spürte die 45er in seiner Hose, die er zur Sicherheit wie an jedem Morgen angezogen hatte. Wenn der Deuwel zweimal klingelt, wollte er vorbereitet sein.
Er dachte nach, zog seine Stirn in Falten und erfaßte blitzschnell die Lage. Das Buffet war in Ordnung, präsentierte eine Lastwagenladung Mettbrötchen und mehrere Schüsseln Kartoffelsalat. Wie es aussah, wahlweise mit und ohne geschnibbelten Gurken. Von Senfeiern bekam er immer Sodbrennen, aber es waren keine Senfeier im Haus, außer den beiden Gorillas, die in der Ecke standen und längst ein Auge auf ihn geworfen hatten.
Er sah sich um, während er schon voll auf Zwiebel war und erkannte, daß im Nebenraum die Leute zu einer Musik tanzten, die er selbst beim Joggen hörte. Mit 18 rannt ich in Düsseldorf rum, war Sänger inner Rockenrollband.
Er hatte keine Ahnung, wovon das Lied handelt, und als Amerikaner ohnehin wichtigeres zu tun.
Endlich bot ihm ein Kellner einen Schluck Bier an. John grinste schmierig wie Fruchtwichse am Baum der Liebe. Bier, Mettbrötchen, Kartoffelsalat - yeah, eine Party ganz nach seinem Geschmack!
So ähnlich oder ganz anders muß sich die Situation für Jeff Dahl dargestellt haben, als er sich in den 80ern dazu entschloß, der wilden Szene von L.A. zu entfleuchen und stattdessen lieber in Arizona gesund zu leben. Mit einem lieben Mädel an seiner Seite und einem guten Haus im Rücken ging Jeff also an die Arbeit und entgiftete sich selbst mit dreckigem Rock´n´Roll, den er meist im Alleingang gegen Ronald Reagan und die ganze Saubande spielte. Inzwischen hat er auf diesem Weg wohl zwei Dutzend Platten veröffentlicht, von denen man die meisten gerne hört. Für mich privat ist Wicked von 91 die beste - ein Gigant am Zenit der sportiven Gitarrengymnastik und neben Bliss, Leather Frankenstein und Ultra Under die einzige Platte, die die Wucht seiner Live-Auftritte (sofern sie nicht akustisch sind) annähernd ins Wohnzimmer transportiert. Sehr zum Unwohlsein der Nachbarn, wie sich manchmal herausstellt, aber dann geht man eben mal zusammen zum CDU-Stammtisch, wählt schön Protest und verträgt sich wieder.
Apropos live, da fällt mir ein, daß ich sogar ein persönlicher Kenner von Jeff Dahl intim bin, gewissermaßen ein Zeitzeuge seines alternativen Way of Life, der weder Zigaretten (häh?), Kartoffelchips (öh?) noch Alkohol (nichmöglich!) kennt.
Okay. Akzeptiert. Wie heißt es noch so schön? - Jedem Tierchen sein Pläsierchen!
Ich hatte die seltene Ehre, in der Zeit von 90 bis 97 mit unserer eigenen Gutehoffnungstruppe an die zwanzig mal im Vorprogramm zu spielen und somit das große Vergnügen, mich von Jeff und seinen Jungs sturmreif rocken zu lassen, ohne einen Pfennig dazuzuzahlen. Was mir an Jeff immer imponierte, waren seine Energie, seine Ernährung und seine Pünktlichkeit. Er war einer von den Fertigen, die es knallhart durchzogen, zum Frühstück Orangensaft zu trinken, selbst wenn man mit ´ner Kippe vor ihm saß. Herausragend auch seine Disziplin, die mitunter fast schon preußische Ausmaße annahm, was ich mal auf seine deutschen Vorfahren schiebe. Ich sag nur Dresden, 95:
Es läuft aus der Nase, es läuft aus dem Mund
Und eit´riger Grünschleim ist selten gesund
Doch Hustensaft, Honig und Haferflocken
brachten den Mann wieder zum Rocken
und dazu, einen arschgeilen Gig vor dreißig interessierten Super-Ossis hinzulegen - wohlgemerkt in einem Zustand, in dem echte Männer wie ich an Selbstmord denken.
Zu dieser Zeit kursierten auch schlechte Witze über seine Haare, die man nicht anschauen konnte, ohne einen schlechten Witz zu machen. Treffenderweise verbarg Jeff seine wilde Lockenpracht tagsüber unter einer Pudelmütze, aber ihr wißt, wie das mit Witzen so ist: Erzählt werden sie immer von Leuten, die a) selber keine Haare haben, b) noch nie beim Frauenarzt waren und die c) Spaghetti Carbonara fressend für die Erhaltung brauner Soße eintreten. Womit wir beim Geschichtsunterricht wären.
Nach meinem Verständnis wurde Jeff Dahls Rolle bei den Angry Samoans immer völlig überbewertet, wogegen kaum jemand in unserem Primatenstaat seine wesentlich besseren Soloaktivitäten zu würdigen weiß. Wißt Ihr was? Das kotzt mich an! Da reg ich mich auf! Warum muß jemand dieser Güteklasse in jedem Hühnerstall spielen und nicht in der Arena Auf Schalke, mal ehrlich, was ist los in Deutschland?
Da muß ich ja heilfroh sein, daß ich mir in einem weisen Moment das letzte Exemplar dieser Platte sichern konnte. Sie lag, man mag´s kaum glauben, völlig verwaist und verstaubt bei Impact-Records im Lager zwischen täglichem Terror, Bullenkotze und Schleim.
"Seltsam", dachte John und beschloß, ab sofort nicht mehr mit lauwarmen Ersatzflüssigkeiten zu experimentieren.

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