THE LOST LYRICS
DAYS OF JOY EP
(BRD 1991)

1991 war das beste Jahr meines Lebens. Ein einziger Rausch. Ich hatte alles, was Männern Spaß macht, war aufgekratzt, euphorisch und machte jede Scheiße mit. Es war sicher kein Zufall, daß ich nach zehn verlorenen Jahren in der Zivilisation meinen Spaß an Punkrock wiederentdeckte. Ich gab ein eigenes Fanzine heraus und kam in den Genuß vieler interessanter Neuerscheinungen. Das meiste war genau so beschissen wie früher, aber es gab auch Sachen, die mich umhauten. Da ich der Typ bin, der sich sehr schnell in Bands verliebt, wollte ich plötzlich viele Menschen küssen, doch die Leute wohnten teilweise hinter Dortmund und ich hatte kein Auto. Kein Auto, kein Konzert. Kein Kuss, kein Backstagebier. Kacke.
Da gab mir jemand einen heißen Tip: Wenn du eine Band live sehen willst und zu blöd bist, ein paar Kilometer mit dem Zug zu fahren, hol die Band einfach nach Duisburg.
Das klang irgendwie lecker. Ich beschloß also, mein erstes Konzert zu veranstalten und mietete Rudi´s Musikbahnhof für einen Samstag in vier Monaten. Es gab keinerlei Auflagen, ich konnte buchen, wen ich wollte, es wäre nur schön, wenn mehr als fünf Leute kämen. Lukrativ wäre eine Hammer-Band von außerhalb. Ich sah darin kein Problem, denn ich kannte inzwischen eine Menge guter Bands, die hinter Dortmund wohnten. Ich sagte Rudi, er brauche sich keine Sorgen zu machen, ich hätte da gerade einen Riesen-Fisch an der Angel.
"Geil" sagte Rudi und schlug mir auf die Schulter. Ich sah an seinem Blick, daß er davon ausging, daß ich ihm R.E.M. oder BAD RELIGION in´s Haus holen würde. Komisch, daran hatte ich auch schon dran gedacht.
...good evening Duisburg-Großenbaum! Seid Ihr alle gut drauf? Wollt Ihr Rock´n´Roll? Wollt Ihr gute Lieder? Ladies and gentlemen, I´m proud to present proudly only the one and one only, I mean, the one and only... (bitte Name einsetzen und ausflippen).
Aber natürlich war es utopisch. R.E.M. kämen bestimmt gleich mit sieben oder acht Leuten angeschissen und BAD RELIGION würden die Spritkohle nicht wieder reinkriegen, ich wäre der Arsch, nee, laß mal.
Ich buchte die LOST LYRICS. Ein knuffiges Trio aus der Pampa, das inzwischen aus vier Mann bestand und kurz zuvor die wunderbare "Days Of Joy"-EP veröffentlicht hatte. Zehn Minuten bretternder Punkrock, der sich schon deshalb von dem der Konkurrenz unterschied, weil man ihm anmerkte, daß der Komponist Holger Schacht großer John Denver-Fan war. In den respektablen, zum Teil mehrstimmigen Gesängen fand sich manch pfiffige Melodie, in den Texten lag die Melancholie einer Landbevölkerung, die ohne Attituden auskommt und sich gegenseitig stimulieren muß. Vermutlich kann man keine andere Musik spielen, wenn man in Wolfhagen bei Kassel aufwächst.
Ich freute mich drauf, malte Plakate, machte ein bißchen Werbung und arrangierte das, was ich für nötig hielt. Dann war Showtime.
An dem Samstag, an dem das Konzert stattfinden sollte, fuhr ich am frühen Abend zu unserem Proberaum, um meine Gesangsanlage abzuholen. Die bestand aus vier großen Möbelstücken plus mehrerer Armaturenbretter und erinnerte im erigierten Zustand an ein eigenes Stadtviertel aus schwarzen Bungalows, aber sie erbrachte ihre Leistung. Es war mit den LOST LYRICS ausgemacht, daß ich den ganzen Krempel zur Verfügung stelle. Da ich keine Ahnung hatte, wie das Ding funktioniert (ich wußte fünf Jahre lang nicht, wie man es überhaupt einschaltet), heuerte ich auch gleich den Mann an, der sich mit dem Monster auskennt. Dieser Mann war Musiker in meiner Band, besaß das technische Know-How und den Schlüssel zum Proberaum.
Wer war dieser Mann? War es vielleicht Atomic Steif von SODOM, war es vielleicht Holger Czukay von CAN, mal ehrlich, wieviel Rock´n´Roll traust du mir zu, lieber Leser?
Ich denke, daß es besser ist, wenn ich die Identität dieses Mannes nicht preisgebe, nur soviel sei verraten: Er hieß Karl, aber jeder nannte ihn Willi. Aus Datenschutzgründen wäre es ein feiner Zug, wenn ich aus Karl Johannes machte, aber genausogut könnte ich Karl in Paul umändern, dann würden die Leute denken, er hieße in Wirklichkeit Bernd, genau wie sich hinter Johannes ebenso Udo verbergen könnte. Natürlich würde ich niemals mit einem Menschen Musik machen, der Johannes heißt, aber er hieß ja Karl, auch wenn viele, die ihn Willi nannten, dachten, er hieße Fritz oder Jürgen, falsch, er hieß Karl, oh, ich meine natürlich Johannes, aber vielleicht war es auch jemand ganz anderes, jemand, der Karl, Johannes, Bernd und Udo einfach nur verblüffend ähnlich sah. Okay, diese Person hieß Uwe. Ich werde ihn Heinz nennen.
Als ich am Proberaum eintraf, stand Heinz vor der geschlossenen Stahltür und machte ein dummes Gesicht. Ein paar Spaßvögel hatten das Schloß mit Sekundenkleber versiegelt und alle Versuche, Sesam mit dem Schlüssel zu öffnen, blieben erfolglos. Da hatten wir wohl die Arschkarte gezogen.
Ich führte weder ein Schweißgerät mit mir, noch war ich David Copperfield. Ich konnte nichts zu einem guten Ende beitragen, ich wußte nur eins: Wir brauchen die Sachen! Meine Freundin hatte die Idee, den Klebstoff aus dem Schloß mit Benzin wegzuätzen. Ich hatte von Chemie nicht den blassesten Schimmer, aber konnte mir vorstellen, daß das ein guter Plan war. Benzin war nicht da. Sie holte Nagellackentferner. Heinz spritzte das Zeug in das Schloß, wartete ein paar Sekunden und versuchte, den Schlüssel hineinzustecken - ging nicht.
Das Schloß bekam noch eine Ladung - wieder nichts.
Heinz wurde immer wütender und als er richtig sauer war, kam er auf die gloreiche Idee, das Zeug einfach anzuzünden. Ein cleveres Kerlchen, denn der Chemie-Cocktail im Schloß brannte wie Zunder. Es roch ein bißchen streng, aber der Verbrennungsprozess führte bald zu einem interessanten thermomechanischen Effekt: Der Nagellackentferner verband sich mit dem Sekundenkleber und tropfte brennend auf der anderen Seite der Tür wieder herunter, blieb dort auf dem Boden liegen und brannte weiter. Durch den Schlitz unter der Tür sahen wir die Flammen lodern, während das Schloß immer noch nicht aufging.
Während Heinz in Panik ausbrach, sah ich uns bereits bei McDonalds arbeiten, um die Schulden zu bezahlen.
Wat sind dat denn für Gurken?
Dat sind die, die ihren eigenen Proberaum abgefackelt haben.
Jau, hab ich von gelesen. Boh, wat hab ich mich beömmelt!
Heinz schrie mich an, ich solle Wasser holen. Ich rannte durch das Gebäude und fand tatsächlich einen alten Eimer und einen Wasserhahn. Wenig später kam ich mit zehn Litern Suppe zurück und wir schütteten das Zeug unter die Tür. Die Flammen erloschen. Hallelujah. Inzwischen ging auch das Schloß auf. Wir hatten Glück, daß wir den Teppich, der den ganzen Raum ausfüllte, an der Tür zurückgeschlagen hatten und daß die Flammen nur auf Beton getropft waren.
Heinz war happy, daß er wieder einmal ein Problem gelöst hatte und ich war froh, daß wir mit dieser Story nicht als Trottel des Jahres in die Annalen eingingen.
Die LOST LYRICS in Duisburg. Alles in allem ein heißer Tag. Obwohl ich ihn sehr genossen habe, veranstaltete ich danach keine Konzerte mehr.

|| nach oben