ADAMO
MEIN NAME IST ADAMO
(BRD 1970)

Meine früheste Kindheitserinnerung reicht bis in das Jahr 1969 zurück und besteht darin, wie ich mir bei einem Einzelhandelskaufmann für Elektroartikel in Gelsenkirchen-Erle meine erste Langspielplatte zugelegt habe.
"Respekt" werden Sie sagen und das vermutlich zu Recht, aber auch wenn es im Leben eines jungen Mannes kaum schönere, sinnlichere Momente als das Betrachten, Befühlen und Beriechen einer frischgepreßten Schallplatte gibt, bin ich nicht unbedingt stolz darauf.
Denn wahrscheinlich gibt es weder eine Erklärung, noch eine Entschuldigung für das, was ich tat, als ich mit meinen Eltern vor einem Stapel LPs stand und mir eine davon aussuchen durfte.
"Dat da" sagte ich und zeigte mit dem Finger auf das stilvolle Cover, das einen versonnen blickenden Wandergitarristen vor baumhohen Tannen zeigte, ich meine, was sollte ich denn machen - sprechen Sie als als Vierjähriger mal "Creedence Clearwater Revival" oder "Incredible String Band" aus!
Auch wenn es eher gegen mich spricht, muß ich gestehen, daß ich die Platte recht häufig hörte. Heino rockte damals noch ohne Brille und war auch sonst recht weit von jeglicher Rock´n´Roll-Attitude entfernt, aber er sang über die Sorgen und Nöte der Menschen, die in Rock´n´Roll-Songs nicht so häufig vorkommen. Wußten Sie schon, daß auf einem Seemannsgrab keine Rosen blühen? Und hat Ihnen schonmal jemand in´s Ohr gejodelt, daß unsere Heimat wirklich sehr, sehr schön ist?
Sie können sich sicher vorstellen, wieviel von seinem deutschen Gemüt Heino auf diesem Album, meiner ersten Platte, präsentierte, bevor er ein paar Jahre später mit "Polenmädchen" und "Komm in meinen Wig Wam" seine multikulturelle Phase auslebte.
Falls Sie das nicht interessiert, wird es Sie vielleicht erwärmen zu hören, daß Heino auf meiner ersten Single, die ich für sechs Mark im Kaufhaus Krause kaufte, nicht mehr sang. Innerhalb eines Jahres hatte ich meinen Musikgeschmack komplett gewechselt und etwas derart Banales wie Heino war darin nicht mehr vorgesehen. Ich brauchte den puren Stoff von der Straße. Schließlich war das auch mein Lebensstil.
Auf der Single, die ich an jenem Tage nach Hause trug, ließen sich bereits die Dimensionen erahnen, in die diese neue Musik zu Beginn des aufregenden Jahrzehnts noch vorstoßen sollte. Die Musik war von coolen Typen gemacht, das hörte ich sofort heraus, und der coolste von ihnen, das sah ich mit geschlossenen Augen, war ein gewisser Tony. Mit seinem Pottschnitt, dem komischen Bärtchen und den grün-brauen Jägerklamotten war sein Style eher bäuerlich, aber ich spürte gleich, daß Tony ein Checker war, der die Bunnies reihenweise besingt. In diesem Fall
waren es "Mädchen mit roten Haaren". Die Melodie ist so markant und pfiffig, daß ich sie bis heute nicht vergessen habe und der Text ist so beschissen, daß ich ihn heute nicht mehr weiß.
Allerdings können ein Album von Heino und eine Single von Tony schnell langweilig werden. Zumindest dann, wenn man sie jeden Tag vierzigmal abspielt. Also begann ich mich für die Platten meiner Eltern zu interessieren, besser gesagt für eine, denn so einen Schrott wie Freddy Quinn oder Mozart mußte ich mir in meinem zarten Alter nun wirklich nicht antun.
Bereits das Cover dieser LP war anders als die von Heino, Tony und all den anderen braven Buben. Man sieht man eine appetitlich servierte junge Dame, die dem Zeitgeist entsprechend mehrere Lagen Schminke, Lidschatten und Lippenstift im Gesicht trägt und dabei keine Spur zu nachdenklich wirkt. Offensichtlich kann sie es sich leisten, ein süßes Lotterleben zu führen. Nichts makelhaftes belastet ihren Anblick, niemals könnte von ihr ein Konflikt ausgehen, sie ist das Gegenteil von Opposition. Kess und verschämt blinzelt sie in die Kamera und hat diesen Blick, den die meisten Männer zu schätzen wissen.
Sie trägt ein dünnes Hemdchen, das bis zum Bauchnabel aufgeknöpft ist und an ihren Kniescheiben schlackert, aber keine Hose.
Wahrscheinlich heißt sie Lulu.
Auf der Rückseite der Plattenhülle, wo die Titel aufgelistet sind, strecken vier Männer die Zunge raus und deuten mit dieser zarten Geste bereits an, daß sie es faustdick hinter den Ohren haben.
Wenn die ganze Familie immer gemeinsam lacht, ahnt man als kleiner Junge nicht, daß es Witze gibt, bei denen sich nur Männer auf die Schenkel klopfen. Wahrscheinlich heißen sie deshalb Herrenwitze, weil sie Kinder und Frauen gar nicht verstehen. Und die LP mit Lulu auf dem Cover war voll davon.
So sang ich fröhlich im Kindergarten "Marie, laß mich dein Kätzchen einmal sehn" und schenkte den befremdlichen Blicken des Erziehungspersonals keine weitere Beachtung.
Glücklicherweise befand sich in der Musiktruhe meiner Eltern auch ein Tonbandgerät. Auf mehreren Bändern waren die Hits des Jahres 1970 systemlos kompiliert und mit Ausnahme von Tony und Heino war eigentlich alles vertreten, was Haare zum Schneiden, Koteletten zum Wachsen und einen Mund zum Singen hatte.
Am liebsten hörte ich den Hit, den Adamo gerade hatte, "Ein kleines Glück" mit seinem fröhlichen Entchenbeat, in dem sich manch aufmunternder Vers versteckte.
Wahrscheinlich brauchte ich auch gerade etwas psychischen Beistand, denn wie viele Kinder im Ruhrgebiet mußte ich im Sommer dieses Jahres zur Entgiftungskur nach Borkum. Es hieß, daß die Luft an der See besser sei als am Stahlwerk und so setzte man mich in den Zug und ich fuhr ich mit einer Horde Blagen zur Küste.
Das Heim war schön, die Verpflegung war nahrhaft, die Luft war gut, und die neuen Freunde waren nett, kurz gesagt: Alles scheiße.
Denn natürlich sah die Wahrheit ganz anders aus.
Wir jüngeren, zu denen ich gehörte, wurden Abend für Abend von einer Horde Siebenjähriger entführt. Die Bande ging dabei äußerst brutal vor. Sie zerrten uns in ihr Zimmer, das am anderen Ende des Ganges lag, fesselten uns und durchsuchten unsere Hosentaschen nach Wertgegenständen. Nachdem sie unsere Bonbons geklaut hatten, wurden wir vom Drahtzieher verprügelt.
Hilfe von den Erzieherinnen war nicht zu erwarten. Mit denen hatte ich es mir verscherzt, weil ich mir laufend in die Hose geschissen habe.
Man reißt ja gerne Witze mit dem Titel "Es geht eine Träne auf Reisen", aber die wenigsten von uns haben eine Ahnung davon, was uns der Künstler damit sagen will.
Ich kann Ihnen da leider auch nicht helfen. Wenn ich Adamos Knaller "Perlen-Silber-Gold, Madame", "Bis morgen - auf dem Mond mit dir" oder "Ich muß wieder lernen, die Rosen zu sehen" genießen will, versuche ich nicht, einen tieferen Sinn in ihnen zu entdecken. Es reicht völlig, sich an der Schönheit, der Melancholie und auch an der sehr entspannten Sicht der Dinge zu berauschen. Wenn die Welt so wäre wie in einem Adamo-Song, würde ich von Luft und Liebe leben und hätte wahrscheinlich schon fünfzehn Kinder von siebzig Frauen. Ich wäre der Tankwart aus dem Lied "Die schönen Damen", hätte ein Boot und dächte mir nichts dabei, fremden Frauen schöne Augen zu machen, da sich die Frauen nichts dabei dächten, sich von mir betanken zu lassen. Aber das nur mal am Rande, damit Sie sehen, wie toll Herrenwitze sind.
Leider ist die Welt kein bißchen Adamo. Sie ist eher viel SLAYER. Ohne Adamo läßt sich das nicht ertragen.

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