TEASER
TEASER
(NL 1978)

Neulich erzählte mir Susi, daß sie als Kind den Nachrichtensprechern im Fernsehen immer die Zunge rausgestreckt hat, anschließend schnell wegrannte und sich hinter dem Schrank versteckte. Dabei fiel mir ein, aber das sagte ich ihr nicht, daß ich mich früher gefragt habe, ob der Schniedel eines Mannes intelligent genug ist, daß er beim Geschlechtsverkehr Sperma absondert
und nicht aus Versehen in die Frau reinstrullt. Ich machte mir da wirklich Gedanken. Meine Vorstellungskraft war so groß, daß ich in der vierten Klasse für meine phantasievolle Sexualkundearbeit die erste "6" meines Lebens bekam. Zugegeben, sonderlich viel Ahnung von Penis und Vagina hatte ich nicht, das einzige, was ich wirklich wußte, war, daß der Beischlaf ein intimer und geheimnisvoller Akt ist, bei dem es keine Zeugen gibt, denn die Welt ist in schwer in Ordnung, wenn man 8 ist und an Supermann glaubt. Mit 10 auch noch. Aber mit 12 bekam sie ihren ersten Risse und mit 16 rannte ich in Duisburg rum, war Sänger inner Rock´n´Roll-Band. Unsere Musik war scheiße, aber der Lifestyle war klasse. Saufen, fummeln und immer auf Achse. Ich erinnere mich an eine Fahradtour, die ich mit meiner damaligen Mieze machte. Fahrradtouren sind cool. Jawohl, es ist ein wahres Glück, den Vögelchen beim Singen zuzuhören und sich an den schönen Landschaften zu laben. Gleichwohl muß ich zugeben, daß es uns damals mehr um die Bewegung an frischer Luft ging, denn eigentlich wollten wir nur ein schönes Plätzchen finden, um es endlich einmal wild im Freien zu treiben.
Stundenlang grasten wir jeden Meter der Mülheimer Ruhrauen ab, schoben unsere Räder über unwegsamen Waldboden, durch Wiesen, Hecken und Sträucher, berauf, bergab, vor, zurück und wenn wir damit fertig waren, fingen wir ein paar Meter weiter wieder von neuem an. Inzwischen hatte ich eine Latte von hier bis Mesopotamien.
Immer wieder stießen wir auf warme, sonnenüberflutete Puzzlesteine vom Paradies, die uns die Illusion vermittelten, als warteten sie nur auf Adam und Eva. Pustekuchen. Entweder war es dort zu feucht, zu hart oder direkt daneben stand eine Kirche. Echt bescheuert, wir fanden einfach kein geeignetes Plätzchen, um unsere Körper darauf zu wälzen und je verbissener wir uns durch die Botanik schindeten, desto größer wurde unsere Erfolglosigkeit.
Am späten Nachmittag war uns dann alles egal. Wir staksten in das nächstbeste Waldstück, parkten unsere Räder an einem Baum und warfen uns in den Humus.
Zehn Sekunden später hatten wir Sex nach Art des Hauses, sie unten, ich oben, rechts und links. Fünfzehn Sekunden später hatte ich Raum und Zeit vergessen.
Zwanzig Sekunden tippte mir meine Gespielin sanft auf die Schulter.
"Mausi?"
"Häh?"
"Hinter uns steht jemand."
"Nein."
"Doch."
"Scheiße."
Ich erstarrte zu einem Erektum und schaffte es nicht, mich umzudrehen. Gut, ich lernte Latein und wußte, was ein coitus interruptus ist, aber ich hatte keinen Schimmer, was im Kopf des Spanners hinter mir vorgehen mochte. Vielleicht war er bewaffnet und trug einen Krummsäbel zwischen den Zähnen, vielleicht gefiel ihm aber auch mein Arsch. Großer Gott!
Mein Herz schlug wie der Motor eines Treckers, Stummfilm, ein lautloses, heftiges Pochen inmitten ohrenbetäubender Stille. Nach zehn Minuten konnte ich nicht mehr.
"Ist er weg" fragte ich meine Freundin.
Man kann sich ihre Antwort denken, denn wenn er nicht irgendwann weggegangen wäre, würde ich heute noch da liegen. Noch Jahre später lachten wir über diese Episode, obgleich ich seitdem ein eher zwiespältiges Verhältnis zur freien Natur habe. Ganz besonders, wenn sich freie Menschen in ihr austoben wollen.
Am besten, man denkt erst gar nicht an Sex. Dabei helfen kann das Backcover der ersten TEASER-LP von 1978, auf dem die vier Bandmitglieder dull und ausgebrannt in die Kamera glotzen. Es sind die Gesichter von Musikern in Blue Jeans, in denen man Geschichten vom dritten Lehrjahr in der Fabrik lesen kann. Die Schweißfraktion. Ehrliche Arbeit, kein Firlefanz, kein Glamour, nur echte Gefühle. Sowas hat schon Stil, aber leider nicht mehr Erotik als eine Kartoffelknolle.
Frauen und Männer sind sich einig darin, daß Sex mit Gemüse keinen Lustgewinn bereitet.
Ganz anders hingegen sieht es aus, wenn es darum geht, den Sinn dieser Platte zu ergründen.
Eine Frage des Geschlechts, würde ich sagen. Junge Männer oder alte Jungs können bestimmt Gefallen an dem beinharten Urwaldsound finden, der ungefähr so klingt wie gemütliche BAD COMPANY. Der richtige Anzug für einen 1-A-Kuschelabend. Eine schmoken, lecker am Sack kratzen, Superillu lesen, Tüte Chips dabei, paßt schon. Kein Problem für Männer.
Frauen hingegen, achgottchen, Frauen legen leider allzu oft ein Verhalten an den Tag, das an Intoleranz nicht mehr zu überbieten ist. Schon der Blick auf die Plattenrückseite törnt sie dermaßen ab, daß sie sich weigern, dieser Platte jemals zuzuhören. Ich habe es ausprobiert und weiß, daß sie lieber eine Fahrradtour machen, als dem Froschteich-Rock von TEASER zuhören zu müssen. Und ich kenne inzwischen auch die Ursache dieses...äh.. Problems. Wir Fachleute sprechen in diesem Fall von optischen Minusassoziationen. Frauen haben ein Gespür dafür, ob ein Mann auf dem Foto aus dem Hals stinkt, eine kleine Nudel hat oder etwas repräsentiert, was sie absolut zum Kotzen finden. Fußball zum Beispiel.
Womit wir wieder bei TEASER wären. Es ist sicher keine Absicht, aber die multifunktionalen Rocker verkörpern im Aussehen exakt die vier Spielertypen, die es im Fußball gibt. Da es Holländer sind, tun sie dies sogar besonders elegant. Da haben wir den rebellischen Mittelfeldstrategen mit Seidenschal, schau, wie er das Leder streichelt, wir haben den Ausputzer, denn die Null muß stehen, natürlich auch den Künstler, der so aussieht, als würde er noch nebenbei in einer Rockband spielen und den Ersatzmann, zweite Garnitur, preiswert. Alles in allem eine Truppe, die ihre LP schon mal mit einem 2:1 über die Zeit schaukeln kann.
Was übrigens auch meinem Wunschergebnis bei der damaligen Fahrradtour entsprach, die inzwischen schon über zwanzig Jahre zurückliegt. Heute fahr ich immer noch Rad, allerdings gebe ich mich auch mal mit einem schönen 0:0 zufrieden. Klar, man erkennt an der Anhäufung von torlosen Unentschieden, daß man älter wird, aber was hab ich damit zu tun?
Solange ich fit bin und Biergärten auf der Strecke geöffnet sind, fange ich keinen Krieg an.

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