ALICE COOPER
SCHOOL´S OUT
(USA 1972)

Geht ´n Mann durch die Wüste. Taumelt durch den Sand, ist total von der Rolle. Hat den Mund weit aufgerissen und Sperma in den Augen, na, Du weißt schon: Voll auf Stange. Verläuft er sich, rennt da so rum mit seiner Latte, hat totalen Durst und andere schlimme Sachen. Denkt der sich: Echt Scheiße hier. Geht weiter, kommt an ein Tal, schön erstmal. Kuckt er da so runter, sieht er so´n Podest. Denkt der sich: Häh?, geht ´n Stück näher ran, schön dezent, sieht er, daß da ´ne kalte Flasche Pils draufsteht und auf ihn wartet. Will er sich die gerade reinpfeifen, hört er auf einmal die zarte Stimme von so´nem Erotik-Brummer: "Komm Karl-Heinz, nun zier Dich nicht so! Du willst es doch auch!"
Er schluckt, dreht sich um und sieht auf einmal zwischen ihren zwei samtbezogenen Schenkeln ´n Florida-Fruchteis-Becher, in dem zwei Waffeln seitlich eindringen. Eine für ihn, eine für die Lady auf dem Bärenfell, klare Kiste.
Er total irritiert, weiß nicht, was er machen soll, sieht er neben so´m Kaktus die neueste Ausgabe vom Kicker-Sportmagazin, mit dem Regionalteil Rhein-Ruhr drin. Er direkt hin, blättert da rum, hat ja keine Ahnung, wo sein FC zur Zeit steht. Auf einmal hört er eine Stimme. Es ist Gott, der akzentfreies Deutsch spricht.
"Tja, das hättest Du wohl gern, Du Penner?! Erst lesen, dann ein kühles Bierchen und zum Schluß die Dame von hinten schön mit Eis beschmieren, he? Aber ich sag Dir was: Schlag Dir das aus dem Kopf, Bürschchen! Das ist mein Fisch!"
Karl-Heinz aber versenkte sein Haupt im See Genezareth, dem Sohn Jordans und Abdullahs, da er sich absolut sicher war, daß es süße Sünden gibt, von denen man keine verpassen darf.
Ähnlich beschissen fühlt sich einer, der sich für eine der Alice Cooper-LPs Love It To Death, School´s Out, Killer, Billion Dollar Babies und Muscle Of Love entscheiden muß. Objektiv betrachtet findet man hier nicht nur die beste Rockmusik aller Zeiten, sondern gleichermaßen die Definition derselben: Ekelhafte, schwere Schockerscheiße.
Im gleichen Maße, wie sich seinerzeit das prüde Amerika über diesen Heini empörte, stiegen dessen Aktien bei Satanisten und Massenmördern. Ideale Voraussetzungen für eine Karriere als Rockstar. Daß die bis heute anhält, möchte ich nicht bewerten. Heilige Kühe melkt man nicht.
Am besten, wir vergessen die letzten 28 Jahre und widmen uns der Zeit, als Alice noch ´ne Band hatte, deren kreatives Potential es zuließ, fünfeinhalb Platten mit Hits zu füllen, wie man sie nur einmal im Leben schreibt.
Mehr noch als thematische Leckereien wie tote Babys, Nutten und Benzin war es die Musik, die schockte. Alice Cooper-Songs waren nicht selten kleine Broadway-Operetten, durchdacht bis in´s kleinste Detail und auf einem spieltechnischen Level inszeniert, welches man den abgesoffen aussehenden Elternschrecks nicht unbedingt zutrauen konnte. Entdeckt und gefördert von Frank Zappa, bastelte Alice Cooper seit seinen frühen LPs Pretties For You und Easy Action an Mini-Opern herum , die ab 1971 mit dem Erscheinen von Love It To Death in Serie gingen. Eingepackt in 4-Minuten-Portionen waren sie schon deshalb keine Songs mehr, da sie mit zunehmender Spieldauer zu Monstern mutierten. Mächtige Dinger. Theatralische Dramen aus einer beschissenen Welt, eingeseift mit zerbrechlicher, subtiler Schönheit. Dabei waren sie nicht weniger kitschig als die Broadway-Musicals, die sie karikierten. "Wir waren immer große Fans der West Side Story...was für eine geile Kombination: Bernstein und die Alice Cooper Band" beschrieb Drummer Neal Smith einmal die schönste Seite des Rock. Er tat es aus gegebenem Anlaß, denn bezeichnenderweise war in jenen Tagen ein Cooper-Song in Co-Produktion mit dem großen Leonard Bernstein entstanden: Gutter Cat Vs. The Jets, ein Song von School´s Out. Ein Song, der sich zu anderen Songs verhält wie ´ne Harley zu einem Mofa.
Getrieben von einer unglaublichen Basslinie tobt sich eine Band auf dem Gipfel ihres Zenits an paranoiden Songstrukturen, Kirmesorgeln und Comic-Rock aus. Und beweist gleichermaßen, daß -wenn es Frank Zappa nicht gegeben hätte- Alice Cooper der Erfinder des Crossover war. Ähnlich aufgemotzt das Grande Finale und Blue Turk, Stücke, die nur im weitesten Sinne Rock sind und genau aus diesem Grunde in diesem Kontext so gewaltig rocken.
Paradoxerweise ist die Hit-Single School´s Out die Gurke der Platte. Ich habe lange überlegt, ob ich sie von der Rille kratze und mir Alice live nochmal antun sollte. Im Mai 98 erlag ich der Versuchung, Alice Cooper mit einem seelenlosen Haufen Berufsmusiker aus fünfzig Metern Entfernung zujubeln zu dürfen.
Spaß bereitete mir nur mein Alkoholpegel. Das Konzert war langweilig.
Alice kam auf die Bühne, wedelte mit dem Krückstock und goß das Fragezeichen in meinem Kopf mit süßsaurer Lauge. Wo hatte er seine Zähne gelassen? Ich meine, seine richtigen? Ich konnte es nicht glauben: Was einen da so ansang, war eine exakt geschnittene Beißerlinie in Jörg Wontorra-Tradition. Scheiße, was für ein Anblick! Coopers Mund sah aus wie ein Saugrohr vom Staubsauger, bißchen mager, was die Optik betrifft. Ganz offensichtlich hatte er den Zahn der Zeit reparieren lassen und schlichtweg vergessen, wie schnodderig er früher einmal ausgesehen hat. Und schnodderig ist noch untertrieben. Und untertrieben ist noch gelogen.
Um zu beweisen, daß ich keinen Mist erzähle, könnte ich den Film Billion Dollar Babies empfehlen. Alle Klischees, die man einem ständig besoffenen Rockstar andichten kann, sind dort zusammengefaßt. Und wer die kontrollierte Anarchie in seiner frühen Musik liebt, kann über die vielleicht auch lachen.

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