CHARLY SCHRECKSCHUSS BAND
SCHNELLER - HÖHER - WEITER - BESSER
(BRD 1988)

Das Thema Bundeswehr ist ein heißes Eisen und ich weiß, daß man nie darüber kalauern könnte. Das wäre auch ungerecht, denn diese Institution steht schon seit Jahren für verloren geglaubte Werte. Deshalb war ich selber da. Ich bin auch ein verlorener Wert.
Aber auch, um mir ein Bild zu machen trotz Fotografierverbot (Punk!), um mal vernünftig ein Hemd zu falten, um ein bißchen herumzuballern, um Gleichgesinnte zu treffen. Uffz! Das sind ja gleich drei Wünsche auf einmal! Vielleicht sollte ich deshalb gleich zu Beginn mit einem alten Vorurteil aufräumen: Es geht beim Barras gar nicht mal so sehr um politische Bildung oder dem Bewachen von Gegend, sondern primär um das, was uns Männern das Leben einigermaßen erträglich erscheinen läßt: Saufen und Praline lesen. Zwangsläufig entstehen bei soviel gemeinsamen Interessen auch super Kameradschaften, von denen es manche gar bis zu einem Eintrag in den Verfassungsschutzbericht bringen. Es ist eine rauhe Männerwelt da draußen in Morgenlattenhausen, eingepfercht zwischen herben Truckerfürzen und Sir Irish Moos. So manch karge Brotsuppe löffelt man gemeinsam aus und -sind wir mal ehrlich- etwas Disziplin hat noch keinem geschadet. Sogar Punkbands haben dieses Idyll besungen. Ein Lied über Zivis und sonstige Drückeberger gibt es hingegen nicht, zumindest nicht von Kiss.
Ich hege ja noch immer den stillen Verdacht, daß der Gitarrengrenadier Rainer Beutin, der optimistisch dreinblickende Blues-Panzer auf dem Cover dieser Platte, identisch ist mit meinem Spieß (Hauptfeldwebel Fieber), der uns damals durch die Botanik scheuchte und der -auf Deutsch gesagt- ein Arsch war. Allerdings, und das macht mich stutzig, hörte HFW Fieber keinen Blues. Zumindest 1987 nicht, als er in Coesfeld an der Macht war. Aber möglicherweise ist der Spieß schon ein Jahr später nach Rendsburg versetzt worden und hat dort in seiner Verzweiflung die Charly Schreckschuss Band gegründet, um unschuldige Soldaten vom rechten Weg abzubringen. Möglich isset.
Ich habe in meinem Leben schon viele verbogene Visagen erblickt und frage mich noch heute, wie groß wohl die Auswirkung der Münsterländer Luft oder wat auf die Schönheit der hiesigen Eingeborenen oder wat gewesen sein mag. Denn nur ein paar Jahre später stieß ich arbeitsbedingt auf den Abrechnungsleiter Hansi Brockmann aus Münster oder wat. Hansi war der einzige Wellensittich Deutschlands, der einen BWM fuhr. Mit genau den selben Symptomen im Gesicht oder wat: Die Zähne zeigten in einem 45-Grad-Winkel nach Norden, die Haare (Ohren halbfrei) wurden grundsätzlich nicht gekämmt und beim Reden ward wacker in alle Richtungen gerotzt.
Hansi Brockmann oder wat, an für sich ´n netten Kerl, aß gerne Brot mit Ei, wenn man ihn konsultierte. Machtest du nun aber den Fehler, ihm irgendwelche Akten vorzulegen und um Rat zu bitten, durftest du davon ausgehen, daß dir Hansi beim Helfen mit nur wenigen Worten den halben Dotter in die wichtigen Unterlagen speit. Das ganze machte man zwei, drei mal mit und fand es auch beim vierten mal nicht lustig. Wollte man aber dieses Mißgeschick umgehen und bat ihn zu sich gar, gab er seine Erläuterungen stets im Stehen, damit er sich ungeniert am Arsch kratzen konnte. Wenigstens landete das Ei auf diese Weise auf dem Teppich und trat sich fest.
In dieser Zeit erklommen meine Vorurteile gegen Münsterländer ungeahnte Gipfel. Es war also durchaus ratsam, sie im Voraus als Bauern zu identifizieren. In der Regel erkannte man sie am verwahrlosten Dachstuhl. Blieb genug Zeit, konnte man wenigstens noch weglaufen. Gegen ihr uriges Verhalten war man nämlich ziemlich machtlos, das war irgendwie angeboren oder wat.
Diese Platte hier reiht sich nahtlos in die Katastrophensammlung ein. Sie hat soviel biederen Charme, daß sie es irgendwann bestimmt einmal zu einem verkannten Klassiker bringen wird.
Herr Schreckschuß und seine Jungs aus Rendsburg (wer´s glaubt...) sind noch so richtig ehrlich drauf und spielen die ehrlichste Musik, die es überhaupt gibt. Bock auf Boogie heißt das erste Stück mit der bezeichnenden, historischen Textzeile "...völlig genervt wechselst Du den Ort des Geschehens", Zitat Ende. Klar, daß das nächste Stück Ich will nach Hause heißt. Nicht übel. Mit so einer Einstellung kommt man bestimmt viel rum in seinem VW-Bus, als Gypsy ohne Heimat, immer auf Achse und so. Unterwegs bekehrt man sicher viele Hausfrauen zum Blues und versenkt auch mal ´n Lachs ohne zu bezahlen, während eine verwegene Mundhaar-Monika auf den ehrlichen Gefühlen herumbläst. Also, wenn das nicht von der Straße ist, weiß ich´s auch nicht. Höchstens "von der Kneipe" lasse ich noch gelten, denn auch bei mir im Stadtteil und in Duisburg-Mitte spielen sie bis heute offene und ehrliche Musik, je nachdem, was die Gewerkschaft gerade springen läßt.
Unser Laden hieß Musik-Bahnhof Großenbaum, galt im Duisburger Süden als einer der zentralen Verladestationen von Koks und Kohlen und lag easy an einer S-Bahn-Haltestelle. Der Schuppen hatte was. Man konnte dort im Laufe der 80er Jahre Dutzenden Nulpen auf die Finger kucken (wenn man noch kucken konnte) oder -angelehnt an einer schönen, bemalten Wand- erfahren, wie es sich anfühlt, im Sitzen zu pissen.
In diesen Lehr- und Wanderjahren lernte ich den Blues erst so richtig zu schätzen. Aus Fitness-Gründen natürlich, denn der Blues ist nett zu seinem Benutzer: Man kann sich dazu bewegen und kippt nicht direkt um. Auch nicht, wenn man alle Hände voll hat mit Zigaretten, Bier und heißen Weibern. Das ist Physik. Hängt mit der Erdrotation zusammen. An die orientiert sich nämlich der 12-Takter. Und wenn die Welt sich schneller dreht, als der Drummer Stöcke schlägt, dann ist es gut. Dann gibt Choo Choo Mama einen aus. Dann soll der weiße Mann zufrieden sein.
Was in der Realität natürlich selten klappt, denn mangels Sexappeal muß viel geredet werden.
Deshalb hat Blues auch so gute Texte.
1983 habe ich in der zweimal ausverkauften Fabrik Bernd Haake (aus dem Münsterland) beobachtet, wie er keck wie ´n Eimer Gips "laß die Hosen runter, Helmut Kohl" propagierte. Reine Gewöhnungssache. Als "rote Socke in einem schwarzen Nest" sieht man bestimmt viele Ärsche.
Hackebernd gab dem Blues auf subtile Art die Message, die er brauchte, gab ihm Wut und Protest. Das war neu am Samstagabend in unserer Straße und brachte einige vorwitzige Chronisten auf die Idee, die Legende mit den Baumwollpflückern aus Mississippi auszubuddeln - im Zuge der Fanfreundschaft mit Botswana sicherlich ´ne nette Geste.
Wie aber fühlt sich einer, der den Blues hat?
Wenn man wacht auf früh diesen Morgen, dann ist das Blues.
Wenn man wacht auf früh diesen Morgen und das Baby ist gegangen, dann ist das doppelt Blues.
Wenn man wacht auf früh diesen Morgen, das Baby ist gegangen und Bier ist alle, dann ist das an Blues nicht mehr zu überbieten.
Und wenn man dann noch ein Schwarzer ist, wie eben dieser Helmut Kohl, dann spürt man ihn schon so´n bißchen - den Pesthauch der bösen Welt da draußen. Davon zehrt natürlich auch so ein fideles Sextett wie die Gruppe um Schahli Peng. Viermal auf dieser Platte wird Klartext geredet und die Leute direkt gemeint mit ihren Namen. Die wissen dann selber am besten, wer sie besingt über sich selbst.
Hey Papa (fang mal an), Hey Alter (laß Dir mal was sagen), Hey Schwester (warum fällst Du so oft hin) und Hey Eider (schau Dich mal an). Yeah. Wobei man den Ortsunkundigen vielleicht noch erzählen müßte, daß Eider ein Fluß ist. Deswegen singt Mister Bummbastik auch mit sehr feuchter Stimme "...sie haben dir den Oberlauf geklaut". Wer das noch nie gehört hat, hat nicht die blasseste Ahnung von dem, was in deutschen Kneipen am Wochenende so abgeht.
Ich will ja nicht meckern, aber angesichts derartiger Sozial- und Naturakrobatik fühlt sich der schnöde Normalhörer (parteilos) wie ´n vollgepißter Laternenmast bei vierzig Grad im Schatten. Sei´s drum. Auch das ist Blues.
Wem nun aber der ganze Problemquatsch viel zu lokalpolitisch angegangen wird, darf sich trotzdem freuen. Charly radebricht nämlich einen ganzen Song in Englisch. Ein Lied, das hinausgeht in die Welt, droben im Oberwald hoffentlich umkommt und so geht: "Something is the matter with people / something is the matter with me / something is the matter with people / they don´t seem to know how to be." - und genauso isset!
Kurz danach lösten sich die Dead Kennedys auf. Alles war gesagt, alles war gedacht und nach dieser Platte wechselte manch Intellektueller seinen Beruf. Ein sicheres Zeichen dafür, daß das Label "Wundertüte Musik" doch tatsächlich die komplette Auflage verkauft hat, zum Beispiel an Kenner wie mich. Astrein. Jetzt hab ich den Blues und weiß nicht, wohin damit.

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