V.A.
DEUTSCHER DEMOKRATISCHER BEAT VOLUME 1
(DDR 1964-1979)

Ach, wäre ich nur ein richtiger Mann mit ...äh, wie heißen die Dinger?...Muskeln! Dann wäre ich stark und könnte den Leuten, die sich über DDR-Rock und Behinderte lustig machen, mal ordentlich die Fresse polieren.
Fakt ist: An der Arbeiterklasse der weit über dem Soll rockenden Genossen kam hier im Westen kaum jemand heran. Ja, wie denn auch? Kapitalismus ist nicht gerade der Nährboden für eine gesunde Suppkultur; Kapitalismus ist der natürliche Feind des kreativen Wahnsinns; Kapitalismus ist das Gegenteil von hottenden Totten (was man in Duisburg auch "Lifestyle" nennt).
In der DDR war man ja irgendwie ganz anders drauf. Schallplatten belegen das.
Die Soldaten des Rock grüßen das Kanonenfutter und ich grüß mal mit einem brüderlichen "Petry heil!" (noch viel Arbeit) zurück. Guten Tach, Herr Präsident, sagen Sie, können wir die Mauer nicht wieder aufbauen? Und das somit isolierte Völkchen in ein gigantisches Tonstudio stecken? Och, komm, bitte bitte! Alle hätten Ohrbeit, John Lennin sein T-Shirt an und bräuchten nicht mehr meckern. Und dann passiert´s! Dann ginge sie tierisch los, die kulturelle Detonation! Zwangsgründungen von lang ersehnten Biet-Gruppen wie Seife, Magnet und Hebel! Und in den Discos wäre nicht nur das Erscheinen, sondern auch das Ausflippen Pflicht. Staatlich verordnetes Herumschwabbeln zu einheimischer Grütze. Kontrolliert natürlich. Wer ´n Glas umschmeißt, wird ausgewiesen.
Ein schöner Traum, sicher. Aber vielleicht gehe ich irgendwann in die Politik, wenn das mit der Sozialhilfe nichts wird. Ich schön, ich klug, ich Kultusdiktator. Und dann zieh ich mich an, nehm ´ne Magnesiumtablette, gehe raus und rette die Welt.
Als erstes verordne ich direkt drei mentale Soforthilfen: Verbot von oier Musik, Verbot von noier Musik, Verbot von beschoierter Musik. Nach den ersten Jubelstürmen und Militärparaden mir zu Ehren würde ich dann nachlegen mit Stilllegungen von Opernhäusern, Theatern und Musikkanälen für scheiß Teenager. Schwule Ballette, allzu vorwitzige Literatur und diese blöden Handys würde ich in´s All schießen, da können´se in Ruhe bimmeln und Außerirdische nerven. Auf der Erde hingegen gäbe es nur noch entartete Musik a go go: Den DDR-Rock - Nonstop Konsens zwischen Volk und Vührer. O.k., der böse Russe würde so seinen atomaren Erstschlag rechtfertigen können, aber wir als Elite marschierten längst fröhlich durch Wald und Flur und hätten Lieder auf den Lippen, von denen Russ´ und Igel nicht einmal etwas ahnen.
Und irgendwann verträgt man sich wieder und geht zusammen ´n Döner essen.
Munition für satte zwei Stunden Dauerfeuer hat ein freundlicher Mensch 1993 auf dieser Doppel-CD geparkt und somit gleich den schlimmsten Krankheiten der Jahre 1964 bis 1979 Namen gegeben. Lieder, die Rockgeschichte schrieben. Lieder, die die Mauer zum Einsturz bringen konnten. Lieder, die dazu animieren, sie direkt wieder aufzubauen. Lieder, nach denen man garantiert keinen Sex mehr hat.
Denk doch mal mit, lieber Leser: Hätten sich die Beatles damals nicht so hörbar vom Franke-Echo-Quartett inspirieren lassen, wäre dann ihr billiger Abklatsch Sgt. Pepper überhaupt entstanden? War es nicht Eric Clapton, der nach der real existierenden Existenz von Engerling nie wieder Gott sein wollte? Und hätte Nina Hagen nicht ihren dösigen Farbfilm vergessen, wer weiß, ob Gary Glitter nicht lieber in Badeschlappen zum Leader of The Gang gekrochen wäre! Und niemand wird wohl ernsthaft bestreiten, daß die römisch-lethargische Stimmungskapelle Electra mit ihrem Manifest Tritt ein in den Dom von 1979 nachträglich dafür sorgte, daß Punk korrekt enstanden war. Mal ganz davon abgesehen, daß es bei den ganzen Kirchenaustritten höchste Zeit wurde, auch mal ein Lied über ´ne geile Zeit in Gott sein Haus zu machen, beeindruckte besonders die Wortwohl seiner Psalmen: Tritt ein in den Dom! Durch das herrliche Portal! In Deinen staubigen Schuh´n! Er strahlt in den Farben der Fenster! Hier atmet man Größe, Größe atmet man hier!
Yöh Yöh Yöh! Das waren noch Texte! Authentisch´n´lebensnah am Puls der Zeit. Daß da der ein oder andere Angst bekam, blieb nicht aus. Die architektonische Dominanz a) des Doms und b) der Verse lud manch zartbesaiteten Genossen sicher dazu ein, sich mit dem Original VEB-Körperstichmesser nach dem Leben zu trachten, doch der Staat hatte vorgesorgt und einen schmissigen Refrain einbauen lassen, der die Leute wieder fitspritzte: Den Dom haben Menschen errichtet fistelt diese ehrwürdige Rockzelle dem stolzen Deutschen zum Wohlgefallen, und wer weiß - vielleicht war ja auch der eigene Ur-Oppa als Mensch am Errichten beteiligt und hat in der pröbstlichen Pisserei ein gar wichtiges, heiliges Rohr verlegt? Ich mein, könnt ja sein!
Die Ehrfurcht des sterblichen Arbeiterkumpels vor imposanter Technik zieht sich wie ein rotes Reißbrett durch die Rock- und Popkonstruktionen damaliger Strommusik-Kombinate. The Joco-Dev-Sextett besang schon 1972 mit dem Stapellauf eine wilde, sportliche Disziplin, in der es nicht nur darum ging, eine Goldmedaille zu erlangen, sondern auch mit möglichst vielen Kollegen übereinander zum Ziel zu rennen. Doch es gab auch Reformer wie die Birkholz-Formation, die mahnend den Finger hob und Sei kein Vulkan sang. Eine Forderung, die auf landesweite Resonanz stieß, da lavaspuckende Menschen im Allgemeinen als eher störend empfunden werden. Auch heute noch gilt der Ossi als anti-impulsiv und kontra-emotional, was vielleicht auch davon rührt, daß man im Laufe der Jahre zuviel lyrischen Stuß hören mußte. Magdeburg, die sich ähnlich wie Boston oder Chicago nach einer multikulturellen Stadt benannt haben, fragten sich 1977 Was wird morgen sein, bekamen aber nie konkrete Antworten, sondern nur vage Andeutungen wie "Dienstag" oder "Tante Gerda kommt." Völlig klar, daß man sich dann irgendwann selbst nicht mehr ernstnimmt und anfängt, wirklich komische Musik zu verhackstückeln.
Echt kritisch wird´s bei Renft (Nach der Schlacht waren die grünen Wiesen rot...duppadaduppadaduppa.. nach der Schlacht waren viel Kameraden tot) und der geschichtsbewußten Hitbox Stern Meissen mit ihrem Chartbreaker Kampf um den Südpol. Eine Idee, die überzeugt: Geschichtsunterricht in Quadro-Surround für Dolby-Kiffer, wo ganz nebenbei viel Allgemeinbildung kleben bleibt. Vielleicht ´ne Marktlücke im Westen, aber nicht mehr lange: "Die Römer marschierten nach Norden / um wildfremde Männer zu morden / oh no no no / ´was später erfand einer ein Automobil, ein langes / Kalkutta liegt am Ganges" oderwatt. Doch inmitten dieser leerreichen Epoche stellte der inzwischen bestens geschulte Bürger fest, daß ihn etwas wurstähnliches am Fortschritt hinderte. Die Gruppe Latte beschrieb dieses Aggregat einst sehr gefühlvoll und lyrisch, bis die Gruppe Kreis kam und es noch gefühlvoller und lyrischer trieb. Liebe war plötzlich mehr als nur ein Wort und der DDR-Rock büßte ab 1980 viel von seiner Geschlechtslosigkeit ein. Schade. Dafür geht der erste Teil des Deutschen Demokratischen Beat-Samplers gnadenlos auf die Dichter- und Denkerglocke und das soll Trivialmusik wie Punk erst einmal nachmachen! Natürlich ebenfalls hier enthalten sind Stadt, die in bester Ruhrpott-Tradition "am Fenster" rumlungern und (vermutlich) Leute bespitzeln. Irgendwie waren City ja die Turbonegro ihrer Zeit mit ihrem debilen Funken-der-Hoffnung-Sound, echt, wo gibt´s das heute noch? Wer Plattenbauten, Klub Kola und Punk wirklich verstehen will, sollte sich beim Friedens- und Zahlenversand 2001 diese Platte kaufen.

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