JIMMY BARNES
JIMMY BARNES
(AUS 1985)

Als ich mit zwanzig meinen ersten großen Karriereknick hatte und aufgrund gewisser Lebensumstände auf die Unterstützung meiner Eltern angewiesen war, versprach ich meiner Mutter, ihr dafür einen Wunsch zu erfüllen. Ich hatte die Wahl zwischen Job suchen, einen Tanzkurs zu belegen oder mir eine Dauerwelle machen zu lassen. Ich entschied mich für diese Haargeschichte. Allerdings gab ich meiner Mutter deutlich zu verstehen, daß in meinem Fall ein Frisörbesuch völlig überflüssig war. Ich meine, es waren keine inneren Organe, sondern nur Haare, mein Gott, sie hingen halt irgendwie herunter und das Styling dafür bekam ich schon selber hin. Zufällig hatte ich nämlich ein paar Wochen vorher das Kreuz-und-quer-System erfunden. Der Trick bestand darin, die Haare nach dem Duschen nur flüchtig abzutrocknen und sich nicht zu kämmen, sondern sofort in´s Bett zu legen und den Kopf möglichst variantenreich in das Kissen zu drücken. Auf diese Weise bekam man nach einer halben Stunde einen interessanten Look serviert, den nicht jeder hatte. Schon der Gedanke, zu einem professionellen Frisör zu gehen, erschien mir so bizarr, daß ich mit dem schlimmsten rechnete. Ich befürchtete, daß ich nach der Operation vielleicht eine Spur zu tuntig aussehen könnte, ein bißchen wie Broccoli und ein bißchen wie Rosenkohl, aber zum Glück lief alles bestens. Ich sah eher aus wie ein Rockstar. Echt! Und zwar Deluxe. Kein Straßenköter, sondern feinste englische Art. Boh, wat geil!
Ich denke, daß wir einer Zukunft in einem Land mit geschultem Personal gelassen entgegensehen können. Gestatten Sie mir, daß ich hiermit Fräulein Petra mit dem breiten Becken herzlich weiterempfehle. Das war eine saubere Arbeit, Lady.
Allerdings war es schon ein seltsames Gefühl, als einsamer Wolf inmitten schnatternder Gänse zu sitzen. Ich wurde das Gefühl nicht los, daß sie sich über mich lustig machten. Als Künstler war ich Spott gewohnt, als Sexsymbol bislang noch nicht.
Während ich mich durch ein Dutzend Frauenzeitschriften blätterte, wurden meine Haare erstmal typgerecht revitalisiert. Anschließend schüttete mir Petra eine Tagesproduktion von Bayer auf den Kopf. Sehr schön. Die natürliche Spannkraft, das Volumen und die reinigende Wirkung auch an den Stellen, wo eine normale Zahnbürste nicht hinkommt, ließen darauf schließen, daß das Afrodisiakum, was sie mir verabreicht hatte, gut dosiert war. Jetzt hatte ich eine schöne, leichte Dauerwelle, keine Superkrause, aber immerhin etwas, mit dem man wackeln konnte. Ein Hammerteil, in etwa vergleichbar mit der Matte des jungen Rudi Völler, als er von einem Holländer bespuckt wird. Schade, es gibt noch keine Worte für den sanften Swing, den meine Haare tanzten, wenn ich bei schönem Wetter durch die Straßen meiner Stadt flanierte. Man muß sich das so vorstellen, als würden Wellen an den Strand von Barbados schlagen, die in der Lage sind, ein Mädchen aus Straciatella zu erschaffen und zwei verschmolzene Körper mit einer Champagnerbrise zu kühlen, bevor sie zu einer Perlenkette aufgereiht in den vom Sonnenaufgang geröteten Himmel emporschweben, um im selben Moment als goldener Regen wieder zu Boden zu rieseln.
Ja, so waren meine Haare. Nur noch schöner.
Kurze Zeit später begannen sie mir auszufallen. Mein Spaß an der duften Frisur dauerte gerade einmal ein paar Monate. Abgesehen von der großen Ungerechtigkeit, die hinter diesem Debakel steckte, zog es auch nicht unerhebliche organisatorische Probleme nach sich, denn ich hatte mich bereits für das Leben entschieden, das mir Jimmy Barnes auf dem Cover seiner ersten Solo-LP vorgeschlagen hatte. Ein Leben, das eigentlich nur darauf ausgerichtet ist, gut im Saft zu stehen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Einfach mal auf den Bordstein setzen und fetzige Klamotten tragen, Jeans zum Beispiel, natürlich unrasiert, aber mit einer guten Frisur, logisch. Nichts klingt plausibler, als biertrinkend mit einer Gitarre auf dem Schoß entspannt auf die Zukunft oder den Strand von Barbados zu warten. Der Mann als neutrale Zone, ohne Vor- und Hintergedanken und all diesen Käse, doch, das traute ich mir zu.
Das Cover gewann zwar keinen Designerwettbewerb, dafür war es der Ästhetik seiner Zeit zu weit voraus, aber es bleibt eines der ausdrucksstärksten Verpackungen der Rockgeschichte. Es paßte gut, daß ausgerechnet Jimmy Barnes so sympathisch rüberkam, denn er war sowieso mein Held. Woran sich bis heute übrigens nichts geändert hat und woran sich in den nächsten paar Jahrzehnten auch nichts ändern wird, weil Jimmy nunmal der brutalste, gellendste, sich schindende Rock-Sänger der Welt ist. Er singt in etwa so, wie andere Leute Löcher in die Wand bohren, Bulldozer fahren oder Amok laufen, kraftvoll, eruptiv und aus dem Bauch heraus. Seine turbinenbetriebenen Stimmbänder im Hals sind Stromleitungen und werden von einem eigenen Aggregat gespeist, das er mit Whisky schmiert. Barnes ist ein Arbeiter, der sein Gerät mit beiden Händen festhält, sich beim Röhren gern im 90-Grad-Winkel kopfüber durch den Song rammt und eigentlich nichts anderes tut, als seine Hörer permanent anzuschreien. Dieser Gesangsstil hat so viel Eier und High Voltage, daß man ihm 1980 angeboten hat, das Erbe von Bon Scott bei AC/DC anzutreten. Um so einen Job abzulehnen, muß man entweder total behämmert sein oder aber eine verdammt gute Entschuldigung haben. Die hatte Barnes, denn er spielte gerade bei der besten Band, die es jemals gab: COLD CHISEL. In Europa sind sie relativ unbekannt, aber in ihrer australischen Heimat waren sie Megastars. Einer der seltenen Fälle, wo sich etwas verkauft, was wirklich gut ist, lang lebe Australien! Ihre neun Alben, jedes von ihnen ein in Vinyl gemeißelter Klassiker, präsentieren eine Band, wie sie von einem Zenit auf den anderen hüpft und Hard-Rock, Blues-Rock, Reggae-Rock und Rock-Rock mit emotionaler Intelligenz am Rande des Vollstellbaren inszeniert. Von daher ist es durchaus legitim, wenn ich meine Zeit nicht mit den WHITE STRIPES verschwende, sondern für COLD CHISEL etwas Propaganda mache.
Ich schlage vor, daß nun im Auftrag des Bundes ein Kultus-Trupp ausschwirrt und jeden deutschen Haushalt besucht, um diesem persönlich ein paar Songs vorzuspielen und dadurch den Mißstand zu beheben, daß hier keine Sau COLD CHISEL kennt. Das ganze könnte man mit einem angeschlossenen Staats-Mailorder verbinden, gute Kunden könnten sich die Sozialhilfe zum Beispiel in Platten auszahlen lassen, nur so eine Idee, egal, auf jeden Fall würden die Leute wie blöd bestellen, oh ja, also so doof kann kein Deutscher sein, daß er das nicht mögen wird.
Eine schöne ABM-Maßnahme, vielleicht etwas aufwändig. Noch besser wäre, wenn man in allen Plattenläden der Republik tonnenweise COLD CHISEL-Alben auslegt und den Rest einfach rausschmeißt, dann kämen die Plattenverkäufe von alleine.
Aber verlassen wir für eine Weile COLD CHISEL und ihre Kracher "Khe Sanh", "Forever Now", "Bow River", "The Last Wave Of Summer", "Star Hotel" und so weiter - wenn ich mal ein Buch über meine Orgasmen schreibe, werde ich sie sowieso wieder aufzählen.
Nachdem Jimmy Barnes noch bei der Olympiade in Sydney vor einem Trillionenpublikum geschrien hatte, kam er ein Jahr später nach Köln, um aus einem kleinen Club eine Werkshalle zu machen, in der die Spätschicht auf der Bühne ehrliche und harte Arbeit verrichtete. Die Band zimmerte sich funktional durch ein paar Hits und Jimmy Barnes verströmte die Aura des großen, alten Preßlufthammers. Ich habe noch nie jemanden so schwitzen sehen und war schon vom Zuschauen kaputt. Kurz vor dem Ende der beiden Zugaben verließ ich den Club, um mir im Imbiß nebenan ein paar Flaschen Bier einzupfeifen. Ich kam nicht weit. Vor dem Laden stand ein Häufchen Ausländer und verbreitete die Art von Hektik, die einen dazu einlädt, sich seelenruhig danebenzustellen und einfach nur zuzuschauen. Plötzlich zückten die Burschen ihre Handys, schwirrten aufgeregt im Kreis herum und begannen auf Englisch, immer nervöser zu werden. Bei dem barbarischen Akzent, den die Brüder draufhatten, konnte ich natürlich kein Wort verstehen, abgesehen davon, daß es wohl um "Jimmy" ging. Und fast im selben Moment, in dem im Club die Musik verebbte, sprintete Jimmy Barnes durch den ganzen Club, schoß durch den Eingang, über den Gehweg zwischen den parkenden Bussen direkt auf die Straße in das Auto, das bereits mit laufendem Motor auf den schüchternen Star wartete. Tür auf, Tür zu, weg war er.
Schade. Ich hätte ihn noch gerne gefragt, wo seine Locken geblieben sind.

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