JUDAS PRIEST
ROCKA ROLLA
(GB 1974)

Wenn Joe drei Nächte nicht geschlafen hat, ist er am besten. Dann steigt er in den Keller, zieht ´nen Satz Saiten auf die Klitoris seiner abgewetzten Stratocaster, läßt alle Sinne langsam in seine Finger fließen und wird nach dem nächsten Schluck Whisky die erogenen Zonen seiner Gitarre kitzeln. Elektrisch.
Er bedeckt sie mit flüchtigen, sanft gestrichenen Küssen, läßt sie schnurren wie ein Kätzchen, krault ihren Hals, miez miez, erst zart, dann immer stärker, schließt die Augen, wirft den Kopf zurück, bis er in einem Jaulen badet, das ihm die Trommelfelle auskratzt und sich majestätisch zu A-Dur schwingt. Zum Finale etwas Gehacktes, roh, aber gut angebraten. Das Öl in der Pfanne: Literweise herabrinnender Schweiß. Die Schläge werden schneller, die rechte Hand verschwimmt, dampft aus und schwebt in leichten Schwaden zum Himmel.
Wenn Joe drei Nächte nicht geschlafen hat und Dylan spielt, klingt es wie eine Schiffsschraube, die durch einen ruhigen Bergbach pflügt.
Einen größeren Dienst kann man der Rockmusik kaum erweisen.
Joe spielte bei FIVE FUCKING FROGS, einer Band aus Nottingham, die nur ich kenne.
Für jede Note, die Joe mit seiner Gitarre in die Rock-Annalen schlug, hätten sie Jimmy Page die Füße geküßt.
Es war ein harter Schlag für ihn, daß er nach nur einer LP wieder Taxi fahren mußte, aber es ist leider Fakt, daß man bedeutend weniger Platten verkauft, wenn man kein Etikett oder Image hat.
Joe war 1973 kein Einzelfall, denn England befand sich wieder im Krieg. Aus vielen jungen Männern wurden Warrior, Killer, Fighter und Pflegefälle. Sie rotteten sich in Barbarenhorden zusammen, bildeten Armeen mit Schlagzeugerie, Basswaffe und Flak-Gitarre und spielten Heavy Metal, ohne daß sie es wußten. Zwar gab es Hard Rock (zum Beispiel STATUS QUO), Acid Rock (zum Beispiel HAWKWIND), Schock Rock (zum Beispiel Alice Cooper), Bock Rock (was sich außer FRANZ K niemand zutraute), doch der Begriff Heavy Metal zehrte erst später von seinem verkaufsträchtigen Täterprofil und verhalf nicht wenigen gruseligen Gurkentruppen zum Durchbruch.
Früher hingegen...ja, früher gab es überhaupt gar keine schlechten Bands, wußten Sie das? Alles, was in den Jahren 1971-1974 als Schwermetall die Welt beglückte, läßt sich auch heute noch mit offenem Mund genießen und ist nicht weniger pädagogisch wertvoll, nur weil es vielleicht nicht mehr zeitgemäß ist. Mit aufklappbaren Plattencovern und einem von enormer geistiger Frische zeugenden Weltbild gehörte es zur Authentizität einer Band, von Waldfeen, Zauberern oder Nutten mit sieben Augen zu singen.
Während die Bundesliga mit BLACK SABBATH, DEEP PURPLE, URIAH HEEP und LED ZEPPELIN mit künstlerisch ambitionierten Werken versuchte, ihre Ego-Probleme in der Öffentlichkeit auszutragen, dröhnte zur gleichen Zeit schon die nächste Generation Rock-Saurier wie RUSH, MOUNTAIN, BUDGIE oder UFO heran. Unter ihnen auch JUDAS PRIEST mit ihrem Debut "Rocka Rolla", einem Werk, das sich zum heutigen Sound der Band ungefähr so verhält wie Tasmania Berlin zu Real Madrid. Nicht der einzige Grund, der diese Platte so interessant macht.
Von sieben Nummern sind drei über sechs Minuten lang. Man kann eine Menge anstellen, wenn ein Song, nennen wir ihn "Run Of The Mill", ungefähr so lang dauert wie eine Butterfahrt nach Helgoland. Frauen könnten zum Beispiel in achteinhalb Minuten ein weiteres Paar Schuhe kaufen, Männer könnten zehnmal ficken, haha, gute Musiker könnten jede Taste ihres Synthesizers einmal drücken, den Bass neu lackieren und das alte Testament vorlesen, ja doch, all das könnten sie schaffen in achteinhalb Minuten. Und dann hätten sie immer noch Zeit, den Refrain doppelt zu spielen.
Da JUDAS PRIEST all dies nicht tun, könnte das bedeuten, daß es keine guten Musiker sind (was schon ein dicker Hund wäre, schließlich verdienen sie ihr Geld mit dem Scheiß). Trösten wir uns daher mit dem Gedanken, daß hinter all dem Tun von JUDAS PRIEST eine gewisse Absicht steckt.
In "Run Of The Mill" gibt´s British Steel mit Pfefferminzsoße und es ist echt ein müder Zock, Mau-Mau statt Poker, bestenfalls Heavy Metal Light, Aluminium vielleicht, und doch, es ist eine schöne Musik, es ist einfach Heavy Metal, der die Ruhe weg hat. Was nicht verwundert, wenn man bedenkt, daß es noch rund ein halbes Jahrzehnt brauchte, bis er überhaupt erfunden wurde.
Gott gab uns die Zeit, von Eile hat er nichts gesagt hab ich mal an einer Hauswand in Scheidegg im Allgäu gelesen und die Tatsache, daß ausgerechnet JUDAS PRIEST den guten Rat befolgten, zeigt, daß dieser Spruch wohl auch an Hauswänden in Birmingham existiert.
Ich denke, es ist ein Luxus, von samtenen Schwingen durch ein Lied geführt zu werden und eine Sphäre zu erreichen, die ein bißchen nach Vanille schmeckt. Richtig hart, und dafür möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken, werden JUDAS PRIEST auf dieser LP eigentlich nicht. Manchmal ist es Bluesrock aus dem Antiquariat. Treppe runter, Hinterzimmer, in der Ecke da, die grüne, alte Schachtel. "One For The Road" und "Rocka Rolla" sind schon ziemliche Granaten, baukastengleich zusammengezimmert aus dem Sperrholz, das FREE, VANILLA FUDGE und BLUE CHEER liegengelassen haben. Oh ja, da wird gehobelt und oh ja, da fallen auch Späne.
Ich find das irre, aber ich mag auch grüne, alte Schachteln. Und ich mag es, auf dem Rücken zu liegen.
Was ich nicht mag, sind dumme Assoziationen.
So mag es vielleicht abgeschmackt klingen, wenn ich bei dem, was der Name JUDAS PRIEST in mir auslöst, an mein Treffen mit den Jesus Freaks denke.
Es war ein heißer Samstagabend im Jahre 2002 und mir fiel zuhause die Decke auf den Kopf. Ich mußte raus, genau dahin, wo die Action ist, nämlich in die Fabrik, die damals, als es sie noch gab, ein paar Kilometer vor meiner Haustür lag und in der am Wochenende immer der Punk abging. Ich stellte mich auf Wut, Protest und Kotze ein, aber an diesem Tag waren die Jesus Freaks zu Gast. Also Liebe und Oblaten. Auch okay. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Zumal ich ja selbst eines dieser Tierchen bin, ein Schaf, glaub ich. Außerdem bin ich seit meiner Konfirmation ja gewissermaßen Vereinsmitglied, wenngleich ich in den letzten zwanzig Jahren mehr Zeit beim MSV oder den DICKIES verbracht habe als in der Kirche. Dafür entschuldige ich mich.
Die Fabrik war relativ leer und ich traf keinen, den ich kannte. Erst später kam Kuwe, der an diesem Abend die Theke machte und extra zu diesem Anlaß bei ebay ein T-Shirt mit der Aufschrift 666 ersteigert hatte. Ich setzte mich auf einen Barhocker, ließ mir zu Trinken geben und verbreitete die Aura des großen, alten Mannes. Kurz darauf wurde ich von einer jungen Frau mit einem schönen Haarschnitt angesprochen und beschloss, mit ihr den Abend zu vertrödeln, weil der Abend so schäbig und ihr Haarschnitt so schön war. Dann begann das Showprogramm.
Ein paar sehr bärtige Laienprediger stiegen auf die Bühne und hielten bemerkenswerte Reden zwischen FreeStyle und Stand-Up Comedy. Danach kam ´ne Band und leutete den gemütlichen Teil des Abends ein. Es wurde kuschelig. Ich rauchte im Takt zu Tom Petty-Songs und ging wieder zu der Frau mit dem schönen Haarschnitt. Wir mußten mal reden. Sie empfing mich mit freundlichen, großen Augen und das Thema, das ich mit Lieblingsbands der frühen 80er so galant vorgegeben hatte, kam irgendwie wieder auf Jesus. Ich ließ mich aufklären über dies und das und hörte gut zu. Als sie mich nach ein paar Minuten zu langweilen begann, gab ich schließlich den jugendfreien Teil meiner eigenen Lebensphilosophie preis. Sie schenkte mir ein Buch ("Help - I Need Somebody"), nachdem ich scherzeshalber bemerkt hatte, daß ich Schriftsteller sei. Dann brachte sie mir eine neue Flasche Bier und lud mich auf ihre Hochzeit in zwei Monaten ein..
Ich sagte zu. Konnte ich wissen, daß unser Gespräch nur wenig später eine seltsame Wendung nehmen sollte?
Der Ausgangspunkt war Jesus und die Tatsache, daß er manchen Menschen Kraft, Mut und Hoffnung gibt. Wenn ich es richtig verstanden habe, verlieh er auch meiner Gesprächspartnerin so eine Art Rundum-Glücklich-Paket. Wann immer ihr der Sinn nach Hilfe stand und sie Antworten brauchte, ließ sie sich von Jesus den Weg weisen und alles war wieder im Lack. Das war schon beeindruckend.
Ich erzählte ihr, was ich in solchen Fällen mache. Nämlich einfach meine Freundin fragen, die mir umsonst die Tarotkarten legt, auf die Kraft der Steine baut und weiß, welche Planetenkonstellation bei Menschen großen Schaden anrichten.
Ihr liebliches Gesicht wurde zur eiskalten Fratze. "Satan ist überall" zischte sie und ich stellte fest, daß ihr Haarschnitt bei näherem Betrachten echt scheiße war.
Ich ging natürlich nicht zur Hochzeit. Ich käme ja auch nie auf die Idee, ein Konzert von JUDAS PRIEST zu besuchen.

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