MARIUS MÜLLER-WESTERNHAGEN
STINKER
(BRD 1981)

Es gibt wohl kaum ein Thema, das echte Männer mehr fasziniert als der Kampf der Geschlechter. Viele Künstler beschäftigen sich mit dieser Problematik, sülzen der Liebsten zur Schlaggitarre ein paar blumige Verse in den Ausschnitt (Liedermacher) oder fechten die Sache einfach im Matsch aus (Catcher). Irgendwo dazwischen liegt der dürre Müller-Westernhagen, ein Typ, dem man beides ohne weiteres zutraut, da er ja Rockmusiker ist. Gut, daß es LPs gibt, die von seinen Schlachten zehren. Keine andere Platte dieser Welt ist von so vielen zärtlichen Momenten, Leidenschaft und auch platonischer Liebelei geprägt wie Stinker vom ollen Marius.
Die Goldmedaille holt er sich schon mit dem kessen Titel. Man ahnt bereits, daß das Wort Stinker voller Intimität steckt, die weit in die Persönlichkeit eingreift. Ganz zu schweigen von dem geschlechtsunabhängigen Ausscheiden von Gasen, einem Thema, das der Künstler mit nur einem Wort zärtlich komprimiert. Stinker. Da muß man erstmal drauf kommen!
Das Back-Cover verstärkt die Intention des Dichters und schafft gleichzeitig Widersprüche aus der Welt: Die Frau als solche pinkelt im Stehen rückwärts in die Kloschüssel (bislang eine absolute Männerdomäne), der Mann erkennt die Gefahr und will sie warnen vor dem autonomen Klobürsten-Trupp. Nur deshalb, darum und deswegen überklettert er seine Selbstachtung und löst mit seinem rechten Schuh die Spülung aus. In Kachelheim wird´s laut. Auf der Außenwand der besetzten Kabine stehen markige Worte, die sich später als verzauberte Songtitel dieser Platte entpuppen, überall liegt was rum, kurz und gut: Es sieht wie bei Hempels unter´m Sofa.
Mit schwarzem Filzstift hat jemand den nackten Torso einer etwa 46-jährigen Frau über dem Wort "Tasche" verewigt - ein dezenter, aber eindringlicher Verweis auf die Vergänglichkeit des Lebens und seiner straffen Titten. Nun, wer so subtil mit Penis und Vagina umgeht, hat entweder ein Imageproblem oder will wirklich auf Mallorca ein paar Hühner ficken.
1981, als die Platte erschien, hatte das Volk im Großen und Ganzen auch keine anderen Sorgen, ich habe mich erkundigt. Der Kampf gegen die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen und sonstigen atomaren Spaß-Anlagen verschob sich erst einmal in die Mitte des Jahrzehnts, vermutlich deshalb, weil die Bekämpfung des jeweils anderen Geschlechts absolute Priorität hatte.
Was mich betrifft, nun, ich entdeckte in diesen Tagen, daß die Liebe ein seltsames Spiel ist und Zeit, Tabak und Nerven kostet.
Aus diesem Grunde brach ich erstmal mit der ganzen authoritären Pflichtscheiße und verweigerte mich der Weiterbildung. Mit erhobenem Kopf verließ ich 1982 die Schule, gleichermaßen desillusioniert (von meinem Noten), wie auch moralisch beeindruckt (von mir selbst). Andere große Persönlichkeiten sollten folgen.
In der vielen Freizeit, die man als Freidenker nun hatte, entdeckte ich die verschiedenen Partykeller der Stadt und Frauen mit Herrenhaarschnitten. Irgendwelche Eltern waren immer gerade in Urlaub und wollten ihr Souterrain sowieso renovieren. Ich ging gerne auf diese Feten. Da ich schon damals scheiße aussah, blieben mir die Weiber mit ihren Zuckerschnuten vom Hals und knutschten lieber mit Jungs, die sich nicht wehren konnten. Was auch sein Gutes hatte: Im Gegensatz zu den anderen armen Würstchen hatte ich die Hände für die wirklich essentiellen Sachen des Lebens frei: Wein, Musik und Kartoffelsalat. Ich beförderte mich selbst zum Discjockey und damit in die Chefetage des süßen Lebens. Dort angekommen drehte ich in aller Ruhe die Musikanlage auf volle Pulle und beeindruckte mit erlesenen, selbst gesampleten MusiCassetten Wände, Stühle und Tapeten.
Die Reaktion der Partykollegen war eher durchwachsen. Von offen getragenem Ekel bis hin zur Gewaltandrohung war alles dabei, was den häßlichen Deutschen nicht schöner macht. Ich verstand nur Bahnhof. Was bitte soll an Golden Earring oder Achim Reichel schlecht sein?
Ich bekam darauf nie eine Antwort. Natürlich nicht.
Mehr noch: Die völlige Mißbilligung meines hart trainierten Musikgeschmacks machte mich zum wütenden Außenseiter und Punk. Von Punk wußte ich, daß die Leute alle einen an der Klatsche haben. "Wer gegen das System im eigenen Land ist, sägt an dem Ast, auf dem er selber sitzt" sagen die erfahrenen Ex-Punker und heutigen BGS-Beamten, aber das war mir egal, damals. Ich wollte selbst herausfinden, wieso der einzige, gemeinsame Nenner auf diesen wilden Kellerfeten eben jener Marius war und wieso er mit seinen zahllosen Provo-Songs wie Dicke oder Mit 18 einen dermaßen großen Erfolg hatte, aber, nun ja - hatten wir überhaupt Alternativen? Punk steckte gerade (ich erwähnte es bereits) in einer Krise, und die konnten wir armen Ex-Schüler und Bald-Lehrlinge uns beim besten Willen nicht leisten. Zumal wir die Kohl-Regierung in dieser schwierigen Lage nicht auch noch zusätzlich destabilisieren wollten. Dann schon lieber hin zu den Partys, von denen viele nachts in Pfützen, Hecken oder Bäumen gar endeten. Scheiß Schnaps! Und wenn man da so ziellos herumkrabbelte im feuchten Dung, mochte man ihn wieder gern zitieren, den dünnen Hering Marius: "Ich will zurück auf die Straße!" - jawoll! Sowas nenne ich eine gesunde, gemeinsame Basis!
Später veranstaltete ein Irrer so´n Deutschrock-Festival im Bochumer Fußballstadion, oh Mann, ein echtes Highleid in meinem Leben! Neben den Rodgau Monotones, Nina Hagen und Grönemeyer spielte auch MMW (in seiner damaligen Band noch die coole Bauernsocke Kralle Krawinkel von Trio) und ich muß schreiben: Der Mann hat in der Tat eine beängstigende Ausstrahlung und Führermentalität. Der brauchte gar nicht mehr zu singen, nur kucken, und alle haben herumgekreischt. Dazu muß man wissen, daß Mullah Westernhagen damals noch von seinem Theo-Bonus zehrte, jenem cineastischen Meisterwerk, das sich in einer subtilen, eigenwilligen Traditionsauslegung zwischen Ben Hur und Du hast Scheiße am Schuh, Charly Braun! bewegte. Marius größter Hit allerdings sollte noch folgen: Als Schauspieler in der Rolle des "Dorn" in dem Film Der Schneemann nach dem Roman von Jörg Fauser (leider tot). In diesem Monumentalknaller jedenfalls findet sich der Film-Dialog des Jahrtausends.
Dorn: "Das Leben ist ein krankhafter Irrsinn."
Habib: "Wie meinen Sie das?"
Dorn: "Im Großen und Ganzen. Unter dem Strich."
Auch heute noch kucke ich mir diesen Film einmal im Jahr an und könnte mich dabei stundenlang beömmeln, obwohl es eigentlich mehr so´n ernsthafter Film ist, mit Drogen und so´m Scheiß.
Stinker kommt seltener, da weniger lustig. Die Platte enthält zwar nur Hits, aber die kennt man sowieso schon auswendig von der WG-Mix-Kassette von Cordula, oder war es Wiebke?, na egal, vermutlich hat sie jemand liegenlassen.
Hits, Hits und nochmal Hits. Ladykiller zum Beispiel. Ein Song darüber, wie so´n Typ von der Straße einfühlsam mit Frauen umgeht, ihre Reize respektiert, aber auch ein offenes Auge für Titte und Arsch hat. Daß Du mich verläßt (das tut mir nicht weh) behandelt Probleme des nicht vorhandenem Trennungsschmerzes - symptomatisch für unsere anonyme, egoistische Wohlstandsgesellschaft, die manchmal voll gemein ist zu unseren Gefühlen und in der man am liebsten alles hinschmeißen möchte. Aber keine Panik! Gerade dann heißt es: Kopf hoch und sofort ´n Baby machen! Kinder bereiten viel Freude und vielleicht sind Freude und Spaß ja unsere Zukunft!
Dann der Knaller auf Seite 2: Sex - ja, leck mich fett! Eine Punk-Nummer mit Pogo-Sound und einem Tempo, das dem sympathischen Künstler den Zugang zu unserer Szene erst ermöglicht hat. Das dumme ist nur, daß er so oft in Stadien spielt und die Jugendzentren dabei etwas vernachlässigt, wo wir doch alle wissen, daß da die Bratwurst wesentlich billiger ist. Egal. So´n Pfefferminz schmeckt ja auch ganz gut.

|| nach oben