PETER MAFFAY
STEPPENWOLF
(BRD 1979)

Vergessen wir den Quatsch von der durchschnittlichen Lebenserwartung eines Mitteleuropäers. Unter uns leben Menschen, die live dabei waren, als Nero Rom in Brand steckte. Sie wohnen bei ihrem Rudel und sind mehrere tausend Jahre alt. Ich habe sie im Fernsehen gesehen, als es noch in schwarz-weiß sendete. Sie waren schon immer da und sie verschwinden auch nicht. Dieter-Thomas Heck, Peter Kraus und Mick Jagger - ich halte es für wahrscheinlich, daß sie uns alle überleben werden.
Vielleicht ist es das Generations-Karma, daß uns ganz bestimmte Personen der Zeitgeschichte begleiten müssen, nicht einen Sommer, sondern ein ganzes Leben lang. Wenn man es als Schicksal betrachtet, ist es auf jeden Fall einfacher, einmal in der Woche Franz Beckenbauer im Fernsehen zu ertragen.
Von den Grundelementen sind Feuer, Wasser, Erde und Luft bekannt, aber ich schlage vor, daß wir die Liste um mindestens einen Namen ergänzen. Die Rede ist von dem stets etwas verkniffen wirkenden Süßsaurus Rex, einem kleinen Mann aus dem Ostblock mit sehr markanter Aussprache und diesem Ding im Gesicht: Peter Maffay. Eines Tages war er in Bremerhaven gelandet, um in der Bundesrepublik seine Miltärzeit zu absolvieren. In Westernstiefeln auf dem Motorrad. Auf der Straße. Nach San Fernando. Echte Freiheit. Super. Auch eine Zigarette?
Als ich ihn das erste mal im Fernsehen sah, war es Sommer. Ich war nicht 16 und er nicht 31, aber der Tag ging abends schlafen und ich mußte noch über sieben Brücken gehen, doch als ich ging, da ging nur ein Teil von mir, dahin, wo kein Mensch mich erkennt, fort, oh Lord, denn am Samstagabend war in unserer Straße immer was los. Zerstochene Reifen, brennende Briefkästen, eingeschlagene Zähne, eben die Art von Action, die acht- oder neunjährigen Jungs Spaß macht.
Man hat in diesem Alter ein gutes Gespür für das Wesentliche. So war mir damals nicht entgangen, daß der Mann mit dem bitteren Blick außerordentlich gut frisiert war. Die Haare waren leicht gewellt, an den Ohren stufig geschnitten und hatten genau die richtige Länge, um sie bei Bedarf mit einem Kopfzucken lässig hinter die Schultern zu werfen. Auf der Maschine mußte das hammermäßig aussehen. Man hätte diesen Kopf auf Dreißig-Pfennig-Marken in die ganze Welt schicken sollen, schöne Grüße aus West-Deutschland, hier ist alles easy. Wirklich, man hätte mit diesen Marken eine Menge Vorurteile beseitigen können, aber leider kam niemand auf die gloreiche Idee und so bleibt der gemeine Deutsche im Ausland eben häßlich.
Peter Maffay blieb Peter Maffay. In der ZDF-Hitparade war er Dauergast und fiel in der gackernden Horde, die sich das Singen nicht verbieten lassen wollte, angenehm auf. Allerdings lächelte er kaum, und wenn er es tat, wirkte das Lächeln erzwungen und schief, sodaß er es kurz darauf ganz einstellte. Ein weiser Entschluß, der seinem Gesicht mehr Würde und seinen Songs mehr Seriosität verlieh. Man brauchte nicht mehr das Gefühl zu haben, mit Chansons wie "Mädchen - wild wie das Meer" oder "Coca Cola, Mädchen und Rock´n´Roll" veralbert zu werden.
So war es kein wirklicher Imagewechsel, den Maffay mit der LP "Steppenwolf" vollzog, sondern lediglich die Intensivierung archetypischer Verhaltensmuster. Die durchzechte Nacht, wahre Freundschaft, Freiheit - Gefühle dieser Art, ordentlich vom Leder gezogen. Man fuhr drauf ab oder man ließ es bleiben. Sehr beliebt war Peter bei den Spielern der Fußball-Nationalmannschaft von 1982. Weniger beliebt war er im Vorprogramm der ROLLING STONES. Beides bleibt ein ewiges Rätsel. Obwohl der Mann Millionen Platten verkauft, ist es nicht leicht, eine Zielgruppe für Maffay-Songs zu definieren oder darüber zu mutmaßen, wer sich diese Lieder überhaupt freiwillig anhört, aber es gibt Indizien, die auf den typischen Maffay-Fan hinweisen: Titten. Allerdings nicht die Sorte, die sich ein Mann in seinem Gesicht wünscht, sondern Exemplare vom anderen Ende der Stange. Karriere-Brüste, um genau zu sein. Ich möchte nicht darüber urteilen, denn ich respektiere den Aufwand, den eine Frau betreibt, um aus einem Paar stinknormaler Titten Karriere-Brüste zu machen. Ich nehme es ernst, wenn sich eine Frau unbedingt einen taudicken BH anziehen will. Auch die Farbe findet große Beachtung, wenn sie an Babykotze erinnert. Und es ist wirklich ganz allerliebst, wenn die Haut nicht nur jung und geschmeidig bleibt, sondern auch noch den Duft der Toscana verbreitet.
Frauen mit Karriere-Brüsten wissen, was sie tun. Das ist schön. Leider ist die ganze Prozedur völlig sinnlos. Karriere-Brüste mögen gut riechen, aber man kann die Nippel nicht sehen.
Da ich in den Achtziger Jahren häufig meinen Job wechselte, sah ich eine Menge nippelloser Frauen. Ich weiß nicht, wieviele von diesen Hühnern ich kenne, vierzehntausend vielleicht, aber ich kann mich gut daran erinnern, daß sich nicht nur die Karriere-Brüste, sondern auch unsere Unterhaltungen in einem bemerkenswert flachen Zustand befanden. Größtenteils hatten unsere Gespräche den Pep von abgestandenem Mineralwasser, allerdings mit einer Ausnahme: Langeweile schlug sofort in Begeisterung um, wenn beim Small-Talk der Name Peter Maffay fiel. Dann veränderte sich alles. Der trockene Zwieback verwandelte sich in ein Puddingteilchen und
mit einem Schlag bekam der Pudding leuchtende Augen, trug einen kirschroten Mund und ein hintergründiges Lächeln voller Verlangen und Süße - wie Schulmädchen in einem Chuck Berry-Song. Perfekt. Selbst die Karriere-Brüste konnten plötzlich wackeln. Ganz offensichtlich machte der Gedanke an Peter Maffay manchen Frauen Appetit auf dieses und jenes.
Da ich mich mit Maffay einigermaßen auskannte und auch ein wenig auf Gefühlsausbrüche aller Art spekulierte, brach ich eine Lanze für die drei großartigen LPs "Steppenwolf", "Ich will leben" und "Revanche". Was mir im selben Moment entgegenschlug, war eine Mischung aus Wärme und Lust und weit mehr als die übliche Sympathie, die jede Frau übermannt, sobald sie meine Fresse sieht.
Es war das freudige Jodeln, das direkt aus der Vulva kommt.
Ich war wirklich überrascht, wie einfach Frauen funktionieren. Das war so bescheuert, daß ich das sicher hätte ausnutzen können, aber auf dieser Basis ficke ich nicht.
Außerdem war keine der vierzehntausend Frauen wirklich ansprechend. Was soll ich machen, ich stehe nunmal auf Chicks mit Mützen und schiefen Zähnen. Da befahl der König, daß seine Ritter in das Land ziehen mögen, um die schönste Maid zu suchen. Zwei Jahre waren sie geritten, hatten in jede Hütte gespäht, in jede Kammer gesehen, in jeden Stall gelugt, doch alles, was sie fanden, waren hausbackene Zwillingstöchter, von denen eine der anderen so glich, daß der König alsbald sehr zornig wurde. Und das zurecht. Wer will schon Frauen, die Klischees und Vorurteile bestätigen?
Ich denke, daß es der Welt besser geht, wenn sie lernt, ohne Stereotypen auszukommen.
Übrigens, wenn es Sie aufregt, wenn man weibliche Intelligenz auf Verhaltensmuster und Äußerlichkeiten reduziert, lesen Sie jetzt bitte nicht weiter.
Maffay-Girls verfügen grundsätzlich über einen eher knusprigen Teint, sind um die 30, kettenrauchend, meinungsfreudig und haben eine ausgeprägten Neigung, all das zu übertreiben. Die meisten von ihnen sind Singles, wollen entweder überhaupt keinen Mann mehr oder jeden Tag einen neuen.
Irgendetwas geschieht in den Köpfen dieser Frauen. Ich könnte darüber philosophieren, ob man so wird, wenn man viel Peter Maffay hört, ich könnte eine Menge interessanter Thesen aufstellen, aber es wird niemanden interessieren. Ich werde mir diese Frage für Selbstgespräche in der Fußgängerzone aufheben, wenn ich auf dem Weg zu mir bin.
Als Peter Maffay auf dem Weg zu sich war, war ich auf dem Weg zum Fernsehsessel. Ich wollte dabeisein, wenn er seine neue Single in der disco vorstellte, denn ich war neugierig, ob er nach dem hohen Niveau des Superhits "So bist du" einen trivialen Weg einschlagen würde oder weiter Protestlieder singt.
Die neue Single hieß, man höre und staune, "Auf dem Weg zu mir" und offenbarte eine weitere Facette in der Schaffenskraft des Komponisten: Starke, persönliche Texte, die andere für ihn schrieben. Die hohe lyrische Qualität von Songs wie "Spuren einer Nacht" oder "Mach´s gut, mein Freund" zeigten deutlich, daß offensichtlich niemand bessere Peter Maffay-Texte verfassen konnte als Bernd Meinunger und Volker Lechtenbrink. "Auf dem Weg zu mir" präsentierte erstmals einen wirklich herausragenden Charakterzug von Peter Maffay (wie andere ihn sahen) und servierte ihn auf dem Silbertablett. Das Zauberwort hieß Sensibilität (zumindest das, was Männer dafür halten), war eng verknüpft mit beeindruckender Menschenkenntnis und der Fähigkeit, aus Tränen, Lügen und zugeschlagenen Türen bittere Erkenntnisse zu gewinnen. Doch, das war etwas Großes, etwas, was noch viel weiter ging als die radikalen Ehrlichkeiten von Howard Carpendale oder Matthias Reim, es war das Herausfordern echter Gefühle, liebe mich oder leck mich am Arsch, es war Farbe bekennen, Schwächen eingestehen, also genau das, worauf Frauen gemeinhin am meisten abfahren. Offensichtlich war es auch der Schlüssel, mit dem man Karriere-Brüste knackt.
"Auf dem Weg zu mir" ist vielleicht nicht die stärkste Nummer auf dem Album, sie ist aber im Hinblick auf die weitere Karriere des Künstlers die wichtigste, denn sie summiert die Quintessenz des Maffayismus in nur einer Zeile: "Und ich steh wieder auf, auch wenn ich am Boden bin."
Wenn man sah, wie Peter mit diesen Song in der disco auftrat, war man geneigt, ihm das zu glauben.
Er trug ein weißes Unterhemd-Imitat, für mich ein klares Bekenntnis zur Arbeiterklasse, genau wie der ernste, entschlossene Gesichtsausdruck, der den Worten Deutschlands kleinster Selbsterfahrungsgruppe Gewicht verlieh. Nenn du es weiche Birne, ich nenne es harten Rock. Wenn Peter die Gitarre anschlug, war es, als hiebe jemand mit der Faust auf den Tisch. In jedem Akkord lag ein Hauch von Revolution, es war galaktisch.
Ein paar Jahre später sah ich genau dasselbe bei Mike Ness von SOCIAL DISTORTION. Bei der Gelegenheit fiel mir auf, daß sich Musik und Attitude nicht sonderlich voneinander unterscheiden, was letztes Endes bedeutete, daß, wer SOCIAL DISTORTION mochte, auch Peter Maffay mögen mußte. Da Maffay in der Punk-Szene immer noch als Insidertip gilt, fühlte ich mich dazu berufen, die zahlreichen Gemeinsamkeiten in einer bekannten deutschen Musikzeitschrift detailliert auszubreiten. Es gab zwei Gründe, dies zu tun. Zum einen konnte ich mit einem neuen Manifest meinem Image als Rock-Papst entsprechen, zum anderen gab ich damit interessierten Rock-Fans endlich den schmackhaften Anstoß, die Wartezeit auf eine neue SOCIAL DISTORTION-Platte mit Peter Maffay zu verkürzen.
Nun, abgesehen von den zahlreichen Abonnenten, die ich mit diesem Artikel verprellte, erntete ich auch Bewunderung. Speziell für den Mut, so einen Stuß zu schreiben.
Nichtsdestotrotz weiß ich natürlich, daß die Geschichte wird mir eines Tages Recht geben wird, aber leider kann ich´s nicht beweisen. Man wird sich auch in Zukunft daran erinnern, daß Peter Maffay mit "Steppenwolf" den Wandel vom Schlagersänger zum Rocker vollzogen hat, da bin ich mir sicher. Um die Sache etwas zu verkürzen, erinnere ich mich jetzt schon mal.
1979. Das Jahr, in dem "So bist du" erschien. Kalter Krieg, Mißtrauen, Schikanen an der Grenze. Die Berliner Mauer ging mitten durch mein Zimmer, war etwa fünf Meter lang und bestand aus mit Fußballbildern beklebten Schränken, ein paar Bücherregalen und zwei in Reihe aufgestellten Schreibtischen. Ich lebte im Westteil dieses Zimmers zusammen mit meinem Bruder, der die Ostzone okkupiert hatte, und die Pubertät vereinfachte nichts. Zwar waren unsere beiden Ecken zwei relativ autonome Republiken (wobei ich eine Diktatur unter meiner Herrschaft bevorzugt hätte), doch über allem hatte der Präsident das Sagen. Unser Papi. Er ließ uns, soweit es ging, das Nötigste selber regeln, aber manchmal mußte er auch Gesetze erlassen, damit wir uns nicht gegenseitig umbrachten.
Ein Gesetz regelte unseren Plattenkonsum. Es war verboten, daß wir uns die gleiche LP kaufen, denn die wäre dann ja doppelt im Haus. Sicher eine sinnvolle Maßnahme, wenn man davon ausgeht, daß die beiden Söhne ewig zusammen wohnen bleiben. Und da die Maßnahme so sinnvoll war, respektierten wir sie, wie der folgende Fall eindrücklich belegen wird.
Bald kamen Tage, an denen im Fernsehen nichts anderes lief als Peter Maffay, wie er einen Hit nach dem anderen schmetterte. Aus Gründen, die ich bereits ausführlich geschildert habe, törnte uns das dermaßen an, daß wir schnell unser ehrfürchtiges Staunen ablegten, stattdessen mit dem Star mitfieberten, einfach alles gaben, total abrockten und am Ende des Prozesses um eine entscheidende Erkenntnis reicher waren: Nie zuvor war etwas so wichtig, wie die LP "Steppenwolf" zu besitzen. Die Platte mit dem Sticker "deutscher Schallplattenpreis deutsche Phono-Akademie e.V.", die Platte mit dem laminierten Cover, die Platte, auf der Peter lässig im Sitzen raucht, die Mutter aller Platten, das Original, Mann!
Dieses Teil mußten wir haben, koste es, was es wolle. Und schon hatten wir den Salat.
Obwohl jeder von uns diese Platte wollte, durfte nur sie nur einer kaufen, das war der Deal. Da wir uns daran hielten, trieb unsere Gesetzestreue alsbald seltsame Blüten.
Eines Abends kam mein Bruder über die Grenze und fragte: "Wieviel gibst du mir, damit ich mir die Maffay-Platte nicht kaufe?"
"Zehn Mark" sagte ich.
"Zu wenig" erwiderte mein Bruder.
Ich erhöhte auf fünfzehn.
"Ist das dein letztes Wort?"
Ich wußte nicht so Recht, was ich machen sollte. Fünfzehn Mark war mein ganzes Taschengeld im Monat, anderseits war "So bist du" wirklich gut und weckte die Gefühle, die man als Teenager braucht. Abgesehen davon war ich mir sicher, daß mich die anderen Nummern der LP ebenfalls umhauen würden.
"Zwanzig?"
Damit schien er einverstanden. Ich hielt ihm meine Hand zum Einschlagen entgegen, doch mein Bruder schüttelte den Kopf und sagte: "Ich geb dir dreißig und kauf sie mir selbst, okay?"
"Zu wenig" sagte ich.
"Fünfunddreißig und du kannst meinen Donald Duck lesen."
"Den kenne ich schon."
"Vierzig und ich verrate dir, wo ich deinen Kassettenrekorder versteckt habe."
"Nein, ich gebe dir vierzig und kaufe mir dafür auch nicht das neue QUEEN-Album."
"QUEEN sind scheiße."
"Quatsch, du bist scheiße."
"Selber scheiße. Fünfzig?"
In dieser Tour ging es weiter. Irgendwann waren wir bei dreistelligen Beträgen angelangt und mußten in´s Bett. Am nächsten Tag wurden die Verhandlungen fortgesetzt, in den Wochen danach verifiziert, sodaß nach ein paar Monaten nur noch über den Preis geredet werden mußte. Am Ende hatten wir einen vernünftiger Kompromiß gefunden, der alle Beteiligten zufrieden stellte: Keiner von uns kaufte die Platte, denn wir hatten inzwischen das Interesse an Peter Maffay verloren.
Erst sehr viel später, als ich schon längst eine eigene Wohnung hatte und der Kauf somit legal war, legte ich mir "Steppenwolf" zu. Ob mein Bruder dasselbe tat, weiß ich nicht.
Ich denke aber doch, denn es wird sich herumgesprochen haben, daß "Steppenwolf" viel von dem hält, was wir damals von ihr versprochen hatten. Vor allen Dingen enthält die LP Lieder, die ich vorher noch nicht kannte und bei denen ich immer noch nicht weiß, ob ich sie mir nur einbilde.
Einer dieser Songs heißt "Roadie" und und ist eine Hommage an Menschen, die die Launen der Rock-Stars ertragen und sich mit Steckern auskennen.
"....und ging was schief, dann war er dran schuld, doch meistens war´s ja okay, und vor der Show baut er auf, und danach räumt er ab bis um drei..."
Ich muß bei diesem Song an meine eigene Band denken, denn eine Zeit lang hatten auch wir einen Roadie in unserer Gang. Wenn Patrick die Lampe an hatte, konnte er auf unserem Level kommunizieren und da er gut aussah, hielt er uns auch die Groupies vom Hals. Er trug schwarzes Leder und hielt sich im Hintergrund, während wir in Straßenklamotten auf der Bühne standen und drei Akkorde variierten. Wir nannten ihn Long Ryder und nahmen ihn überall hin mit. Leider verstand er nicht viel von Technik, fuhr keinen Bus und trug auch nicht mehr Kisten als wir selbst, aber er half uns beim Biertrinken. Ich glaube, wir hatten ihn dabei, weil er unglaublich sympathisch war und in unserem Stadtteil wohnte.
Der Gig in Moers war ein weiteres Kapitel in unserer langen Liste surrealer Happenings. Wir zogen echt die komischsten Dinger an Land, spielten vor Kleinkindern in einer Kirche, neben dem Holzkohlegrill für sozialistische Würstchen oder in einem Schnitzel-Restaurant und ich begann mich allmählich damit abzufinden, daß der Weg nach oben bei mir im Kreis verläuft. Diesmal war es ein Bierzelt. Zweifellos der richtige Ort für den kulturellen Teil einer Kirmes. Unser Auftritt lag eingebettet zwischen einer Skiffle-Band und dem Hauptact, der mit deutschen Rock´n´Roll aus den Fünfziger Jahren der Fun-Generation zeigen sollte, wo der Hammer hängt.
Dementsprechend sah das Publikum aus. Es war drei- bis viermal so alt wie wir, aber nur halb so besoffen und verzehrte auf Holzbänken viel Kaffee und Kuchen. Es hob die Blicke erst von den Tellern, als die Pausenmusik aufhörte, die Scheinwerfer auf der Bühne angingen und wir gemütlich auf die Bretter schlichen. Dort angekommen, machten wir erstmal garnichts, denn wir warteten auf den Kasten Bier, den unser Roadie für uns organisieren wollte. Also standen wir blöd rum und glotzten das Publikum an, das wiederum uns anglotzte.
Zwei Minuten gingen vorüber. Und wir warteten. Drei Minuten. Alles starrte uns an.
Dann endlich sahen wir am anderen Ende des Zeltes Long Ryder in schwarzem Leder, wie er sich mit dem Kasten durch die Leute wühlt und zur Bühne hastet. Er beeilt sich, schultert das Ding, kommt näher, fängt an zu rennen, nimmt Anlauf, springt mit dem Kasten auf die Bühne, bleibt im Sprung am Bühnenrand hängen und fällt voll auf die Schnauze. Der Kasten kracht auf den Boden, das Klirren kratzt uns die Ohren aus. Wir schütteln uns weg vor Lachen und fangen, als wir uns langsam wieder beruhigt haben, irgendwann an zu spielen. Das Publikum verläßt fluchtartig das Zelt.
Es sind schöne Momente wie diese, die den Rock´n´Roll am Leben erhalten und ich denke, daß Peter Maffay das genauso sieht. Schöne Momente haben viel mit Verlieren zu tun und auf "Steppenwolf" gibt es eine Menge Lieder darüber, wie man auch als Verlierer eine gute Zeit haben kann, zum Beispiel, wenn man einen Roadie dabei hat.
Vorher müßte man natürlich erst einmal darüber diskutieren, warum das Material dieser Platte vom Verlieren handeln sollte, aber das lohnt nicht. Eigentlich ist es ziemlicher Blödsinn.

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