ÖZEL TÜRKBAS
HOW TO MAKE YOUR HUSBAND A SULTAN
(TüRKEI, 20. JAHRHUNDERT)

Es gab Tage, an denen ich mir täglich frische Wäsche anzog, verwilderte Teile meines Gesichts glattrasierte und nach jeder Zigarette ein Pfefferminzbonbon lutschte. Das Deo, das ich mir in die Achseln schmierte, duftete nach Business und garantierte acht Stunden Erfolg. Ich trug schwarze Schuhe, die mich drei Zentimeter größer und fünf Jahre älter machten und schäkerte mit Frauen, die dreißig Zentimeter kleiner und zehn Jahre jünger waren. Mit diesen Schuhen eroberte ich Duisburg. Zwar trat ich nach wie vor regelmäßig in die Scheiße, aber jetzt achtete ich darauf, sie gelegentlich vom Schuhwerk zu entfernen, denn es war ratsam, möglichst unbefleckt zur Empfängnis zu erscheinen, einem Ort, wo der erste Eindruck zählt. Der erste Eindruck: Sitzgruppe, Juccapalme, Ab- und Auslage. Dort saß Gülcan, von der später noch zu lesen sein wird, inmitten eines Ensembles moderner Kommunikationstechnik, und machte die ernüchternde Lounge zu einem warmen Hort der Geborgenheit, wenn ich das mal so sagen darf.
Das Gebäude war taghell erleuchtet, wenn ich es am Morgen um kurz vor acht betrat und zu meiner Ecke stiefelte. Abgesehen von Annehmlichkeiten wie dem blitzeblank geputzten Schreibtisch und dem grauen Computer mit Farbmonitor besaß ich auch einen eigenen Stuhl, bei dem die Rückenlehne nicht einrastete. Man sah an meinem Gehopse, wie es sich anfühlt, nach zwei Jahren endlich wieder einen festen Arbeitsplatz zu haben.
Mein Job war das Erstellen von Heiz- und Nebenkostenabrechnungen, eine Tätigkeit, die ein Leben nicht unbedingt aus der Bahn wirft. Allerdings wurde man oft angerufen, was sich auf Dauer als störend erwies.
Mein Büroalltag sah so aus:
Zunächst mal holten wir, also ich und die beiden anderen Heiz- und Nebenkostenabrechner meiner Fakultät, ein paar Pötte Kaffee und pfiffen uns einen kleinen Lunch ein, meist Snickers oder Marlboro. Dann legten wir für zwei, drei Stunden den Hörer daneben ("um diese Zeit rufen nur Psychopathen an") und lauschten den Ausführungen des Arbeitskollegen aus der anderen Galaxie, einem schnauzbärtigen, gut durchgebratenen Graf Porno vom Geschmackstyp "Bademeister", den wir aufgrund seiner Vorliebe für seelenlosen Schlagerschrott Ibu nannten. Der Spider hatte wohl schon seine hunderttausend runter, und wie alle Gebrauchten war er morgens auf Rituale angewiesen, um all seine Pötte auf Betriebstemperatur zu bringen. Dabei spannte er zuerst seine Gesichtsmuskeln krampfartig an, drückte dann den erstarrten Kopf in einer zähfließenden Bewegung langsam nach vorne, und ihn dort minutenlang ereignislos verharren zu lassen. Seine Birne sah aus wie ein Mercedes-Stern auf der Kühlerhaube eines Opels, aber die Übung beugte einem drohenden Doppelkinn vor. Zumindest glaubte er das. Schon klar, was so einer für Leute kennt, denn abgesehen von ein paar Blagen und einer Frau, die uns nicht interessierte, hatte Ibu einen Kumpel, der sich selber einen blasen konnte.
Das fanden wir geil. Das war mal was Reelles.
Leider weigerte sich Ibu beharrlich, den Akrobaten einmal mitzubringen, damit wir ihm mal die Hand, die er nicht braucht, schütteln konnten. Stattdessen erfuhren wir, daß Ibu in seinem Wohnzimmer eine Lichtorgel installiert hat, die blinkt, wenn er Disco-Fox tanzt.
Ich mag Menschen, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen, auch im zweiten Stock in Duisburg-Buchholz.
Allmählich war wohl die Zeit gekommen, in der wir abends mal was zusammen machen mußten. Wir beschlossen, gemeinsam eine kulturelle Veranstaltung zu besuchen. Nach langem Hin und Her fiel unsere Wahl auf Jürgen Drews, den berühmten Protestsänger, der ganz in der Nähe in einer Bollo-Diskothek gastieren sollte. Ein Riesen-Ding! Das ganze Büro wollte antanzen und so lange wie möglich nüchtern bleiben.
Aber man sagt ja soviel, wenn der Tag lang ist. Die einzigen, die tatsächlich erschienen, waren Mona und ich. Auch schön.
Ein Freund von stimmungsvollen Abenden mit Rory Gallagher und SNUFF wartet also zusammen mit seinem Mädchen, das zur Frühstückszigarette MOTÖRHEAD, LARD oder Roy Orbison hört, eingepfercht zwischen feierwütigen Primaten im Nieselregen auf Einlaß zu Jürgen Drews. Das ist, als würde man in den Puff gehen, um Monopoly zu spielen.
Nun, wo wir schonmal da waren, gingen also über Los, bezahlten den happigen Obulus, weil einer sein Haus auf diesem Feld gebaut hatte und zogen die Ereigniskarte:
Singen Sie mit den anderen Gästen
Alice, Alice, Who the fuck is Alice
oder installieren Sie in ihrem Wohnzimmer eine Lichtorgel.
Wir zogen zwei Felder weiter und setzten uns an die Theke. Easy Action im Spiralnebel Hugo, das große Chillen bei Douglas Finest, richtig dufte. Nachdem sämtliche verfügbaren Parfumsorten meine Nase endgültig pulverisiert hatten, schmeckte das Bier nach Benzol.
Als dann auch noch Mona in ihrer schäbigen Punker-Lederjacke mehr Blicke der Damenwelt auf sich zog als ich in meinem eleganten schwarzen Jacket, war der Abend endgültig versaut. Und dann kam Jürgen Drews. Achgott. Es wird wohl niemanden verwundern, wenn ich sage, daß sein Auftritt zum Halbplayback eines kaputten CD-Players den Abend nicht unbedingt besser machte. Hängen geblieben ist allerdings eine Ansage, die ich ziemlich kess fand. Nachdem der König von Mallorca während eines eher langweiligen Songs ausgiebig die Gelegenheit dazu nutzte, die vor ihm hin- und herhopsenden Bauerntrampel eingehend zu begutachten, brillierte er mit einer sachlichen Analyse eines inspizierten Objekts: "Du hast aber auch einen geilen Arsch."
Aus Protest vor diesem chauvinistischen Verhalten fuhr ich mit Mona, die aber auch einen geilen Arsch hat, sofort nach Hause und ließ mich an den Tropf hängen.
Jedenfalls hatte ich danach einen Einblick in Ibus Szene und konnte ihm einigermaßen folgen, wenn er im Büro mit feuchten Augen Wolle Petry-Lieder sang, Pirouetten drehte oder bis kurz vor zwölf irgendeinen Stuß erzählte.
Dann war erstmal Mittagspause. Und als wir nach neunzig Minuten mal langsam wieder Platz genommen hatten, wurde dann auch ein bißchen gearbeitet. Obwohl: An Arbeiten war nicht zu denken, denn permanent schellte nun das Telefon. Die Psychopathen waren inzwischen reichlich geladen, da sie schon seit über vier Stunden vergeblich versucht hatten, jemanden von uns an´s Telefon zu kriegen. Dafür hatten wir vollstes Verständnis. Um sie ein wenig zu trösten, aber auch, um den ein oder anderen Sachverhalt zu erklären, erfand Bongo einen Formbrief, in denen es vor frei erfundenen Fachausdrücken wie "hydraulische Kuffnocke", "schwenkbarer Böschungshobel" und so weiter nur so wimmelte. Dieser wurde den Leuten dann zugeschickt und danach war meist Ruhe im Stall.
Nachmittags, um diesen Aufsatz über einen Tag im Arbeitsleben vor Hartz IV eben zuende zu führen, wickelten wir Paketklebeband zu mehreren Lagen zusammen, bis eine Art Fußball entstand, mit dem wir dann über die gesamte Länge des Großraumbüros herumballerten. Was übrigens dazu führte, daß ich abends ganz schön geschafft war.
So ging der Sommer in´s Land und so fielen Blätter von den Bäumen und so rieselte leise der Schnee und irgendwann ergab es sich, daß mein Arbeitskollege Bongo mit Gülcan vom Empfang anbändelte, und zwar erfolgreich. Das führte dazu, daß Gülcan öfter zu uns hochkam, um ihren Liebsten zu necken und ihm mit einem Armstrich den ganzen Schreibtisch leerzufegen, seine Kippen aus dem Fenster zu werfen oder einfach nur feste in den Arsch zu treten. Sicher, nicht jeder teilte ihren Sinn für Humor, Bongo zum Beispiel machte einen eher verzweifelten Eindruck, während wir anderen uns checkig lachten und uns am Lebensgeist des türkischen Wirbelwindes erfreuten. Dazu kommt, ich muß es einfach mal sagen, daß Gülcan außerordentlich attraktiv war, naja, wen wundert´s. Wenn es nicht rassistisch wäre, würde ich behaupten, daß Türkinnen grundsätzlich besser aussehen als manch braves deutsches Mädel, aber es soll ja auch Ausnahmen geben.
Was halten Sie zum Beispiel von Marietta Slomka, he? Susanne Holst? Daniela Fuß?
Äh, wie dem auch sei, was Gülcan betrifft, war ich wirklich überrascht, wie ein so hübsches und intelligentes Mädel so naiv sein konnte und wirklich jeden Scheiß glaubte, den wir ihr auftischten. Was Bongo betrifft, überraschte mich noch mehr, welch großes schauspielerisches Talent bei diversen Aktionen zutage trat, wenn es zum Beispiel darum ging, einen Herzstillstand zu simulieren oder von dieser mysteriösen Rachenentzündung betroffen zu sein, bei der man keine Vokale mehr aussprechen kann.
Sowas mag in Ulm oder Kassel zum gängigen Ritus zweier Turteltäubchen gehören, aber ich glaube, daß es in Duisburg nur Bongos Art von Notwehr war, daß er Gülcan nur bloßstellte, um sich irgendwie dafür zu rächen, daß er dauernd auf dem Boden herumzukrabbeln mußte, um seine Sachen zusammenzusuchen.
Da ich mich recht bald mit dem armen Kerl solidarisierte und gerne mit schönen Frauen rede, wurden wir wenig später ein gutes Team, das Gülcan täglich Stories servierte, wie man sie nicht mal in der Super-Illu zu lesen bekommt. Mein Part in diesen Sketchen, die meist als völlig unverbindliche, belanglose Männergespräche begannen, war der des debilen alten Mannes. Das war glaubwürdig genug, denn trotz Ibu und dem ganzen Debakel galt seltsamerweise ich als Freak, was an meiner Vorliebe für Punker und dem ganzen Gesocks gelegen haben mochte.
Einmal lenkten wir unser Gespräch Richtung Familienplanung und ich erwähnte beiläufig, daß ich selber mal zwei Kinder hatte.
"Wie, du hast zwei Kinder?" Gülcan glotzte mich an, als hätte ich ein Eichhörnchen im Gesicht.
"Hatte" betonte ich.
"Wie: hatte..." Gülcan verstand nur Bahnhof und sah dabei süß aus. Jetzt mischte sich Bongo ein, indem er seine Freundin verständnislos anstierte und die Stirn in Falten zog.
"Hat Tonki dir das etwa nie erzählt?"
"Wie: erzählt, nee, was denn?" Gülcans Blicke schossen zwischen Bongo und mir umher, versuchten, unseren Gesichtern irgendeine Geschichte abzutrotzen, aber unsere Mienen waren ausdruckslos wie zehn Sack Kartoffeln. Das machte sie wahnsinnig. Ich bekam einen saftigen Tritt vor´s Schienbein. "Los, sag schon!"
Ich druckste ein wenig herum.
"Du mußt nicht darüber reden, wenn du nicht willst" mimte Bongo den verständnisvollen, sensiblen Frauenversteher.
"Ja, ich weiß nicht..." mimte ich Lieschen Müller, während sich Gülcan langsam in Rambo verwandelte und sich drohend vor mir aufbaute: "Jetzt erzähl endlich, du Arsch!"
"Naja, ich hatte vor ein paar Jahren ein paar private Probleme, mein Gott, und da bin ich eben nach Holland gefahren und hab unsere beiden Kinder wegmachen lassen, mehr ist da gar nicht passiert, Schwamm drüber."
Gülcans Mund stand offen und war nur noch zu einem stummen Stottern fähig.
"W-w-wa-rum hast d-du d-das ge-ge-macht?"
"Na, ich wollte sie nicht mehr haben."
Ihr stilles Entsetzen machte offener Empörung Platz, einem Maschinengewehr, das auf mich gerichtet war und sich in stakkatohaften Wortsalven entlud. "Das ist noch lange kein Grund, Mann, unfassbar, wie kann man nur so egoistisch sein, denk mal an die Mutter!"
Sie wischte sich den Schaum vom Mund. "Wie alt waren die Kinder?"
"Vier und fünf."
Das reichte. Laut "Waaaahh!" schreiend stakste sie auf mich zu, blieb haarbreit vor mir stehen, zischte "du Schwein!" und machte den Eindruck, als wäre sie zu allem entschlossen. Wenn sie sich nicht im nächsten Moment umgedreht hätte und aus dem Raum geschossen wäre, hätte sie mir die Zähne eingeschlagen. Es dauerte mehrere Tage, bis Bongo ihr endlich verklickern konnte, daß Tonki nur einen Witz gemacht hatte und in Wahrheit impotent ist.
Nachdem mir klar wurde, daß es niveauvollere Gags gab, machte ich alles besser. Ich erzählte ihr von der Beach-Party, die ich ein paar Jahre zuvor besucht hatte und auf der mich weder der deutsche Kracher BRÖSELMASCHINE noch das schottische Rockmonster MARMELADE derartig beeindruckt haben wie Nassim, das türkische Bauchtanz-Wunder. Nassim nämlich, das müsse sie wissen, hatte nicht nur zirkusreife Jonglagen mit brennenden Dolchen auf der Pfanne, sondern brachte als Höhepunkt der Show eine Nummer von ganz besonderem Wert: Nassim, diese zierliche Person von vielleicht gerade mal 30 Lenzen, balancierte unter donnerndem Trommelwirbel doch tatsächlich einen 71er Ford Transit auf dem Kopf!
"Was ist ein Ford Transit" fragte Gülcan.
"Ein Lieferwagen" sagte ich.
Dann fertigte ich eine Skizze an, in der ich die kritischen Punkte wie die gewichtsverlagernde Heckklappe und die viereckigen Frontscheinwerfer rot markierte. Darüber schrieb ich: Gesamtgewicht: ca 1,2 Tonnen. Ich zeichnete über der Fahrerkabine noch eine kleine Antenne für UKW-Empfang ein und nachdem ich Gülcan nun endlich erklärt hatte, daß ein Ford Transit auf dem Kopf wesentlich schwieriger zu handeln ist als ein VW-Bus oder Pritschenwagen, nickte sie anerkennend.
Da wir irgendwann damit aufhörten, sie über jeden Schwindel aufzuklären, ist Gülcan, wo immer sie jetzt auch sein mag, auf jeden Fall mit einem interessanten Weltbild und geradezu universellem Wissen aufgestattet. Kann ja nicht schaden. Nehmen wir mal an, die Herrschaften trinken gerade Tee. Wenn die Unterhaltung stockt, kann sie zum Beispiel erzählen, daß sie mal jemanden kannte, der sich selber einen blasen konnte. Oder daß sie mal bei einem Silvester gefeiert hat, in dessen Wohnzimmer rund viertausend Platten stehen, der aber zu blöd war, vernünftige Musik aufzulegen.
Gut, ich spielte den Herrschaften DIE KASSIERER vor, war ein Fehler, aber auch nur deshalb, weil ich so etwas Schönes wie den Turkish Bellydance von Özel Türkbas zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kannte. Erst sehr viel später sah ich die LP auf dem Trödelmarkt, wie sie in einer Kiste vor sich hinschimmelte. Zur Platte gibt´s nichts zu sagen, außer, daß sie gut rockt und mit modernem, amerikanischen Equipment eingespielt wurde, wie das Cover stolz bemerkt. Die Herren Musiker verstehen ihr Fach und spielen schön. Vielleicht hört man, wie gut Özel dazu tanzt, vielleicht ist Özel aber auch eher ein visuelles Erlebnis. Falls nicht, könnte sie es mal mit einem 71er Ford Transit probieren.

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