V.A.
SONGS WE TAUGHT THE FUZZTONES

Die wenigen Strahler hatten sich auf ein moderiges, halbdunkles Flackern eingeschossen und erweckten den Eindruck, daß hier und heute Großes geschieht. Ich stand mit meiner Mieze in einer sicheren Ecke des verräucherten Clubs und konnte es einfach nicht glauben: Der Typ, der oben auf der Bühne seinen Gesang mit Mikroständer und Zunge aufzupeppen versuchte, schockte mit schier unglaublichem Talent. Das hatte zwar mit seinem Gesang nichts zu tun, ballerte ihn aber in die Dunstglocke des großen Hokuspokus. Der Typ, der oben auf der Bühne von einer niemals endenden Erektion träumte, war in Wirklichkeit ein Zauberer! Und was für einer!
Er hatte die seltene Gabe, fremde Materie nur durch seine Willenskraft physisch bewegen zu können! Nur durch Konzentration und Hüftschwung! Sensationell! Der Uri Geller für die Rockers! Ein Magier mit dem Fachgebiet Intimzone. Seltsamerweise beschränkte sich die Wirkung seiner Kunststückchen auf Frauen.
Mehrere von ihnen, vornehmlich die in der ersten Reihe, kippten nacheinander um. Nach der vierten ging ich näher ran. Die Band spielte weiter und die erschlafften Frauen wurden herausgezogen. Sofort füllte sich die entstandene Lücke mit neuem Frischfleisch. Schon ein paar Takte später folgte das nächste Duell. Ausgetragen mit vulgären Gesten, ordinären Andeutungen und hypnotischen Blicken. Noch vor dem zweiten Refrain hatte die Lady verloren und knallte mit ihrer heißen Rübe unsanft auf den Bühnerand. Anlaß für die Reservespielerinnen, sich nun langsam warmzulaufen. Und was waren das für Brummer, leck mich am Arsch!
Eine von ihnen brachte ihren knallroten Mund in Stellung und schoss sofort. Schöne Grüße aus Vulvahampton! Mit ihrem zerrissenen Tigerdress war sie mir schon vorher aufgefallen, und es entsprach jedem Klischee, daß sie es auf die billige Tour versuchte. Sie war mit Sicherheit die ausgeleiertste Rock-Kuh der Matratzengalaxie und hatte sich vermutlich schon längst einen dieser bescheuerten Namen zugelegt. Ich wette ein Pfund Kaffee auf Angel Dust . Und wenn nicht Angel Dust, dann zumindest Suzie Sunshine oder Venus Love, Betonung auf "alles erlaubt".
Ich beobachtete sie von beiden Hoden aus. Inzwischen war ihr Fummel gewollt unabsichtlich verrutscht und verriet, daß sie abgesehen von einem schlechten Tattoo auch ziemlich viele Leberflecke auf den Titten spazieren trug. Ihre schwarzgeschminkten Augen leuchteten. Sie probierte es mit einem Nimm mich jetzt und zahl das Taxi!-Blick, den sie auch perfekt beherrschte. Ihr Körper mit all den Löchern parkte bereits auf einem Logenplatz und stand nun unmittelbar im Zielgebiet des Sängers, der sich beim Anblick dieser Kanone bereits auf eine sportliche Nacht freute. Es folgte ein kurzer Flirt, ein paar unverbindliche Fingerübungen mit dem Mikroständer und -bumms- hatte Madame die Horizontale erreicht und lag fix und fertig zum Bestäuben in der Gegend herum. Jemand trug sie raus und die Show ging weiter, während der Sänger bereits eins von den wenigen Mädchen entdeckt hatte, die noch bei Bewußtsein waren.
Die ganze Scheiße ging also wieder von vorne los und ich wurde das Gefühl nicht los, daß ich als junger Mann hier nur störe. Obwohl - so richtig Mann war ich ja gar nicht, mehr so´n Musikfreund. Mein Jagdrevier: Stereo und Dolby, aber auch Krefeld und Detmold, wenn grad mal die Fuzztones spielten. War schon ´n putziger Haufen. Sie trugen alle diese Pißpottfrisuren, waren komplett in schwarz gekleidet und hatten altertümliche Utensilien wie Kerzenständer und Vox-Gitarren dabei. Dazu dudelten sie vertrocknete Sumpfblumen aus dem Neandertal des Rock, wo man mit leichtem Horror, grober Mystik und nekrophilem Petting noch schocken konnte. Wenigstens hatten sie Stil.
Ihre Platten klangen wie gut organisierte Garagenmessen und trieften vor Tributen an längst verschollene Bands, billige Filme und Sex mit entsprechender Wäsche. Sie transportierten den dunklen Geist des 60s-Trash direkt vom Röhrenverstärker auf die CD und die Leute kamen hin, kuckten zu und kippten um.
Nach jenem Konzert wollten wir noch ein Interview mit Scheißfragen machen. Die erste Ausgabe des Hullaballoo stand an. Mona, die damals mit ihren blonden Haaren noch aussah wie ein Verkehrsdelikt, sollte den Fisch klarmachen. Zwischen Tür und Angel quatschte sie den naßgeschwitzten Rockstar von der Seite an, während ich meine Bollerbirne dezent im Hintergrund hielt. "An interview, yeah, cool, let´s go" schwadronierte der Barde, während seine Blicke schon an den Titten meiner Ollen hingen. Möglicherweise gab es Schöneres, als sich mit ihr über Musik zu unterhalten, aber Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Und, wer weiß, vielleicht könnte man ja hinterher... doch da kam ich aus der Ecke geschossen. Rechtzeitig. Gerade noch.
"Hello Rudi, let´s make talking" begrüßte ich meinen Geschlechtsgenossen. Der fröhlicher Gesichtsausdruck sickerte zurück in seine Hose. Plötzlich sah er aus wie ein VW Käfer mit Delle.
Noch ahnte er nichts von den Frechheiten, mit denen wir ihn belästigen sollten und machte gute Mine zum steifen Schwanz. Das Interview begann und wir fragten ihn, wie er die Chesterfield Kings findet und ob er sich vorstellen kann, daß Bruce Springsteen die Hollies mag, was er von Motorrädern hält und anderes essentielles Zeug. Rudi saß in der Ecke und starrte Löcher in den Käse. Ich glaube, er hatte keine Lust mehr. Zu allem Übel verrutschte ihm noch eine Kontaktlinse, ausgerechnet jetzt und ausgerechnet seine. Eine halbe Stunde fummelte er an seinem Auge herum und wurde zusehends mißmutiger. Wir zogen es vor, uns da doch lieber mit dem Drummer über Billy Idol und Kühlschränke zu unterhalten.
Im nächsten Jahr spielten die Fuzztones in Oer-Erkenschwick und wir gingen nicht mehr hin. Ich hatte mir in der Zwischenzeit die Doppel-LP Songs We Taught The Fuzztones gekauft und war nun weiser. Diese Platte, bei der übrigens der Sänger höchstpersönlich das schöne Cover gemalt hat, beinhaltet sämtliche Originale der Songs, die Jahre später bei den Fuzztones für Ekstase und Beulen sorgten. Viele kosmische Kuriere dengeln sich durch die Rillen, geeint im Glaube, mit einem schrillen Staubfänger für eine bessere Welt zu orgeln. Die meisten Namen sagen mir nix. Schon mal was von den Cindermen gehört? Von The Chob oder The Bold? Nö, klingt aber lecker.
Allerdings finden sich hier auch vereinzelte Exzellenzen des Rock, bei denen es schön ist, daß man sie nicht vergißt. Davie Allan, den Surf-Fritzen zum Beispiel oder die Moving Sidewalks, die erste Band des heutigen ZZ Top - Gitarristen Billy Gibbons. Natürlich auch die Sonics, die mit Cinderella den Fuzztones den größten Hit liehen. Bill Haley, Bo Diddley, The Heard, ach, eigentlich kennt man die meisten Namen doch. Das, was ich vorher geschrieben habe, war also Panne.
Green Slaaaaaiiiimm...green slaa-aaiiimmm ist auch drauf und überhaupt der größte Hit, den´s gibt. Rauhe, aber herzliche Musik aus der Zeit der toten Kennedys. Danken wir also den Nachlaßverwaltern, den Fuzztones, für ihre Totengräberei. Und dafür, daß sie den Männern eine schöne Musik vorspielten, während die Frauen blöd auf dem Boden lagen.

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