U.K. SUBS
BRAND NEW AGE
(GB 1980)

Wir Tramps und Vagabunden kommen erfahrungsgemäß viel herum. Im Laufe der Jahre habe ich durch Tingeln und Klingeln auch viele Punker persönlich getroffen. Ihre Sorgen, Ängste und Plattensammlungen haben mich sehr betroffen gemacht. Ich weiß also ziemlich Bescheid, kann man sagen. In gewisser Weise war ich früher, 1980, sogar selber mal ein Rebell, jaja, auch ich, scheiß Staat.
Mein Zorn richtete sich zwar weniger gegen Popper und Polizei, traf dafür aber Dödel, einen Klassenkameraden mit Fußballer-Poposcheitel. Jesses, was für eine Bollerbirne! Der Arsch behauptete allen Ernstes, er hätte für das MauMau-Spielen ´ne Taktik entwickelt, die es ihm unmöglich macht, jemals wieder zu verlieren. Ha! Ha! Ha!
Wir fanden es fair von uns, ihm zumindest den Heimvorteil zu gönnen. Wir setzten uns an einen Tisch und sagten seiner Mutter, sie möge uns bitte die nächsten drei Stunden nicht stören. Dann spielten wir um Geld und zwar direkt um harte Groschen.
Schnell wurden aus Groschen Marken, aus Marken Currywurst mit Pommes, aus Kreditscheinen die ersten Kleinelektrogeräte. Es war unübersehbar, daß Dödel dabei war, uns mit seiner Taktik eine goldene Jugend zu bescheren. Wir waren wirklich froh, daß uns das Schicksal auf diese Weise zusammengeführt hatte. Als Einzelkind hatte er den flotten Vorteil, seine Eltern fast unbegrenzt anzapfen zu können.
Mit der Kohle, die er auch an mich verlor, finanzierte ich meinen aus heutiger Sicht nicht mehr meßbaren, aufwendigen Lebensstil. Gelder für Bonbons und Pommes waren stets vorhanden. Und wäre die Logistik auf dem Schulhof damals besser gewesen, hätte mich vermutlich der ganze Schotter aus Langeweile zum Koks getrieben, aber da habe ich nochmal Glück gehabt. Später kamen dann nur die Zigaretten dazu, die mich prompt in eine Sucht führten und auf einmal war der Dödel weg und das Geld alle. Schönen Dank, Arschloch!
Also war Punk angesagt als Ventil für die Wut. Null Future für Magengeschwür! Also ging ich in die Stadt, wo die Action ist. Also ging ich in das Schallplattenfachgeschäft und kaufte nach Sex Pistols und Bachman-Turner Overdrive meine dritte Punkplatte. Die Platte war von U.K. Subs. Wem das nicht paßt, der kann ja abhauen.
Zuhause merkte ich dann recht bald, daß da wohl eine Verwechslung vorlag. Ich dachte nämlich, die Hit-Single Warhead aus der Schlager-Rallye am Samstagabend im Radio wäre vom englischen Art-Rock-Trio U.K.! Also solider Rock von Eddie Jobson und John Wetton (früher Curved Air, dann Uriah Heep, später Überall- und Nirgends). Tja, Pustekuchen! Statt schöner Violinenpassagen und alpinen Keyboardgebirgen gab´s vierzehnmal den gleichen Song und überhaupt keinen Tastengott, wat ´ne Scheiße aber auch!
Irgendwie klang alles gleich. Da hätte ich auch gleich bei Status Quo bleiben können.
Zwar hatte der harte, kompromißlose Beat der Großstadt was vom Zahn der Zeit, aber das monotone Gebrüll vom 38-jährigen Charlie Harper verdarb mir das Frühlingsgefühl und meiner Mutter den Joghurt im Kühlschrank.
Wenigstens hatte die Platte ein schönes, buntes Cover wie die von Yes, Budgie und Uriah Heep auch. Nutzte aber nichts, das sag ich direkt. Die LP verschwand im Regal unter "U.K." wie Uninteressante Kacke.
Ein halbes Jahr später kam die Scheibe zu einem unerwarteten Comeback und das kam so: Ich hatte mir eine Schickse angelacht, meine erste Freundin. Sie war zwar einen Kopf kürzer als ich, hatte aber eine bessere Stereoanlage. Während wir also bei ihr auf dem Sofa lagen, die Zukunft verplanten und Spaß mit unseren Geschlechtsteilen hatten, ließ sie ihren Dual-Plattenspieler auf meinen Befehl hin unaufhörlich rattern. Um mich wichtig zu machen, brachte ich immer einen Haufen Platten mit zu ihr auf die Bude. Viele Scheiben, die sich bei mir noch nach Garage anhörten, klangen bei ihr plötzlich nach Schloß Neuschwanstein. Zum ersten mal in meinem Leben entdeckte ich sowas ähnliches wie "Bässe".
Irgendwann war auch Brand New Age an der Reihe. Alle Regler standen auf Krach, als die Nadel über das Vinyl und meine Hand über eine engsitzende Damen-Cordhose kratzte. Es machte bupp! und ich dachte, mich laust der Affe! Jesses, was hatte die Platte doch für einen guten Klang! Damit war nicht unbedingt zu rechnen. Zwar steht unten rechts in der Ecke "Deutsche Pressung", aber erst jetzt wußte ich, was das bedeutet. Super. Während uns die Welt da draußen mal tüchtig am Arsch lecken konnte, wurde die Platte im Laufe zahlloser klebriger Flüssigkeiten zu unserem Lieblings-Kuschelrock. Sie enthält, was ich vorher gar nicht wußte, sogar einige Hits für Backfische in Liebe, nämlich Public Servant, 500 CC und das sagenhafte Teenage. Alles gute Gründe, nie erwachsen zu werden.
Auch an den Gesang konnte man sich als toleranter Mitteleuropäer gewöhnen - nur an den Gitarrensoli hapert es bis heute. Gut, keiner erwartet, daß da so´n Straßenmann spielt wie Jimi Hendrix, aber selbst Rory Gallagher haut´se noch alle in die Pfanne - und der ist immerhin tot! Wenigstens Emotional Blackmail II rettet noch ein Fünkchen der Ehre der U.K. Subs als Musiker. Dieses atmosphärische Stück vom Knüppel beinhaltet eine schöne Instrumental-Sequenz, die aus vier guten Noten besteht und mehrmals hintereinander gespielt wird. Das kam ziemlich gut an bei mir als Rock- und Pop-Fan. Aber das Leben zog grußlos vorbei und servierte noch ein paar schräge Dissonanzen.
Nach nur neun Jahren war es zwischen meiner Freundin und mir aus. Ich war nicht ganz unfroh darüber. Ihr Verhalten war am Ende der Beziehung für mich eine einzige Demütigung. Sie hatte sich getraut, in meiner Gegenwart Saga-Platten zu kaufen, zu hören und gutzufinden! Der alte Geist von Protest und Putz, von Rock und Rambazamba, ging lieber in die Tanzschule und wollte Kinder züchten. Ohne mich. Natürlich.
Und wie ich da neulich so belämmert über den Trödelmarkt schleiche, seh ich doch glatt die LP von U.K. mit dem ganzen Klangbombast drauf. Der seelenlose Verkäufer konnte sich meiner mitleidigen Blicke sicher sein. Wer hört denn so eine Scheiße?

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