AEROSMITH
BOOTLEG
(USA 1978)

Hardrock: Jack Daniels, Leder, Jeans und Sex ohne Gummi. Ein Leben aus der Dose. Besoffene Typen, die sich ohne Grund auf´s Maul hauen. Tussies, die ihre Zungen überall hineinstecken. Die fremde Welt der Fleischfresser. Heldentode im Lichtgewitter. Orgien mit Gitarren, Experimente mit kosmischen Substanzen.
Hardrock: Meine erste große Liebe.
Eine der wenigen Bands, die seit ihrer Geburt im Jahre 1970 immer eine Hauptrolle spielten, waren Aerosmith. Auf ihren frühen Studio-Alben kultivierten sie ihr Talent, echten, guten Krach von sich zu geben, auf der Live-Bootleg-Doppel-LP brachten sie ihr Geknatter zur Vollendung. Eine Platte, die von genau den Substanzen lebt, die "gute" Produzenten in der Regel eliminieren. Attacke! Der matschige Sound springt dem Hörer direkt in die Fresse; quiekende Gitarren und ein sich die Lunge aus dem Hals bölkender Sänger Steven Tyler erledigen den Rest. Müllmannherz - was willst Du mehr?
Wir waren 82 so beeindruckt von dem Lärm, daß wir nach dem Genuß dieser Platte direkt eine Band gründeten. Die Besetzung stellten wir nach logischen Gesichtspunkten zusammen. Achim wurde ohne großes Palaver zum Gitarristen gewählt, da er der einzige von uns war, der ein Instrument spielen konnte. Mit dem Bass sollte sich Schulzi herumschlagen, da er ein netter Typ war und ein Auto hatte. Insgeheim hofften wir natürlich, daß er uns mit seinem Passat zu den Proben chauffiert, da es in der Natur der Sache liegt, seinen Mitmenschen zu helfen. Tatsächlich aber fuhren wir meistens Bus, weil auch Schulzi saufen wollte. Schlagzeug spielte ein gewisser Carlo, Sohn einer Pizza und eines Nudelholzes, und ein überzeugter Gegner von Timing, Takt und Rhythmus. Da aber seine Eltern den Partykeller hatten, schenkten wir Carlo eine Eintrittskarte in die Welt des Ruhms. Aus dem Partykeller machten wir in einer Nacht- und Nebel-Aktion unsere Klangwerkstatt und gaben Carlo noch ein paar Tips, wie er seinen Eltern den plötzlichen Vandalenbefall am besten beizubringen hat. Es wurden zähe und langwierige Verhandlungen für den Blechtrommler. Carlo mußte ihnen versprechen, ab sofort an jedem Wochenende den Garten zu machen. Was wir nur fair fanden. Schließlich sind Lehrjahre keine Herrenjahre.
Nun konnte es also losgehen. Endlich!
Den Gesang übernahm ich. Da konnte ich am wenigsten Schaden anrichten. Außerdem hatte ich gerade meine ersten musikalischen Erfahrungen im Keyboard-Duo Factus Ix hinter mir, war also noch voll im Business, schlank und gutaussehend. Spontan erklärte ich mich dazu bereit, auf den Proben mehrere Flaschen Bier zu trinken. Was dann meist folgte, war ein Gehacktes aus unterdrückter Kreativität und ausgelassenen Ballaballatums und verlief ungefähr so: Wir kamen an, machten ein paar blöde Witze über den Drummer und rotzten im Hausflur rum. Dann wurden wir in die Küche gebeten, wo Carlos Mutter Spaghetti für die ganze Baggage kochte. Spaghetti, die so lecker waren, daß man gleich mehrere Teller davon fressen mußte. Spaghetti, die im Magen aufquollen und dort weiterkochten. Spaghetti eben. Pappsatt verqualmten wir noch lustlos ein paar Zigaretten, bevor wir wieder in den Keller krochen. Mit vollgefressener Wampe konnte natürlich keine Sau mehr spielen, also ließ uns Achim erstmal ´ne Stunde vom Hardrock seiner Platten, die er stets mitbrachte, kosten. Carlo schmissen wir raus. Der hatte eh keine Ahnung und ging meistens Bier holen. Von Ted Nugent, Ufo und auch Aerosmith bekamen wir Durst, vernichteten dann in einem Affenzahn viele Flaschen, Karaffen und Gläser, bevor wir uns am späten Nachmittag über den Weinkeller von Carlos Eltern hermachten. Dann wurde wieder gerotzt, gelacht, gelabert.
Am Abend waren wir knülle, stolperten in den Bus und ließen Zwölfe gerade sein.
Ein halbes Jahr verging, ohne daß wir ein Stück auf die Kette gekriegt hatten. Dann aber, keiner weiß wieso, machten wir auf einer Probe drei Hammersongs auf einmal: Erstens Augen der Großstadt (nach Kurt Tucholsky, den Achim am Vormittag im Deutschunterricht flüchtig kennengelernt hatte), zweitens Ich brauche Geld für Zigaretten, ein Slow-Blues Marke erdig, bei dem ich die Kunstform des Sprechgesangs für mich entdeckte und drittens Kaputter Typ, ein Lied über Carlos Freund, der eines Tages mit seinen Keyboards (!) bei uns anwackelte und unbedingt mitspielen wollte. Ein Spinner, wenn Ihr mich fragt.
Als wenig später seine Keyboards aber tatsächlich in unserem Raum standen, machten wir uns ernsthaft Sorgen um die Zukunft der Band. Es stellte sich heraus, daß Carlo seinem Freund schon fest versprochen hatte, bei uns einsteigen zu können. Achim, der in solchen Sachen nicht zimperlich war, löste das Problem auf ganz natürliche Art und Weise. Seelenruhig kippte er die Flora sämtlicher Aschenbecher in die Buchsen und Elektronik der Keyboards und spülte den Schnodder mit etwas Kerzenwachs runter.
Danach waren die Keyboards kaputt und landeten zusammen mit ihrem Besitzer auf dem Sperrmüll.
Nach dieser Aktion beschlossen wir, uns einen coolen Bandnamen zuzulegen und uns ab sofort Dazed And Confused zu nennen, da wir ja nun erwiesenermaßen mindestens so brutal waren wie Led Zeppelin. Dann klatschten wie unsere drei Songs in etwa zehn bis sechzig verschiedenen Versionen auf ein altes Tonband und lösten die Band auf.
Was bleibt, sind Erinnerungen an die vierte Seite der Aerosmith-LP, die besonders oft rasiert wurde. Wohl wegen Mother Popcorn, einem rattendollen Funk-Smasher mit Saxophon-Einlagen! So schwarz klangen die Hardrocker nie wieder, vor allem Dingen Herr Tyler nicht. Leider. Gegen Ende des Songs hört man, wie er kotzt. Vor diesem 7-minütigen Gefrickel allerdings brillierten die fünf sympathischen Rocker mit dem Oldie I Ain´t Got You, und zwar auf dem Boden eines grundgütigen, frischen Rhythm´n´Blues. "So soll´s sein" sprach Jesus und reichte zum Nachtisch noch Train Kept-A-Rollin´, das die Essenz dieser vierseitigen Granate mit Hupen, Fiepen und Gedröhn (und vorheriger Zelebration von Draw The Line, dem besten aller Aerosmith-Klassiker) auf den Punkt, bzw. den Nervenarzt bringt.
Kurz danach, und das hört sich bei Rockstars irgendwie witzig an, begann die offizielle Drogenzeit der Band. Als sie Ende der 80er wieder auftauchten, waren sie sowas wie die Eisen-Bon-Jovis geworden und bringen es bis heute fertig, gleichermaßen fantastische wie saudämliche Hits anzubieten. Egal, mich interessierte das alles sowieso nicht mehr, da ich inzwischen durch einen lausigen Deal mit Satan für für 666 Jahre an Punk gebunden war. Hardrock, also nee, wat ´ne Kinderkacke.
Am 18. Oktober 89 fuhren wir also hin. Luftschmitz in der Kölner Sporthalle, die Karten schon im Vorverkauf gebunkert, ´ne Karre gechartert und juppheidieh ab auf die A 3. Ein Auto voll mit Jungs, die Bock auf Rock hatten, ein umsichtiger Fahrer (Hasi), eine gute Bordapotheke (drei Dosen Faxe) - näher konnte man dem Himmel nicht sein. Wir kamen gut voran an jenem Abend. Der Mercedes von Hasis Papi schnurrte mit komfortablen 120 Stuckies über den Asphalt, keiner hatte Zahnschmerzen oder Durchfall.
Dann kam das Autobahnkreuz Hilden und mit ihm ein zweistündiger Stau. Man kann sich vorstellen, wie es sich mit drei Litern Faxe in der Blase auf der Autobahn steht. Mein einziger Wunsch, den ich an diese Regierung noch habe, lautet daher: Jeder Meter Standstreifen soll flächendeckend mit Dixie-Klos bebaut werden! Von der Maas bis an die Memel und vor allem vom Breitscheider Kreuz bis zum Kölner Ring!
Was soll ich sagen, die Vorgruppe The Cult haben wir (leider?) (gottseidank?) verpaßt, beim dritten Song von Aerosmith aber waren wir am Start. Es war wie Weihnachten und ein Tor vom MSV auf einen Tag! Wie 17jährige mit Morgenlatte frästen sich die Rock-Saurier durch einen lauten, gellenden Gig und spielten alle Hits, die auch auf ihrer Live-Platte drauf sind. In mir ratterten komische Filme. Ich bekam wieder Lust, ´ne Band zu gründen, ein Haus zu bauen und einen Sohn zu zeugen. Und das ist ja schonmal nicht schlecht für einen Diesel.

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