HANK THE KNIFE AND THE JETS
THE GUITAR KING
(NL 1975)

Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, ich lieb dich nicht, aha. Man sollte allerdings auch immer schön bei der Wahrheit bleiben. Entgegen anderslautender Meldungen war der eigentliche Erfinder der Chaos-Tage nämlich der Randale-Förderkreis Duisburg, der aus einer losen Verbindung aus Schaustellern, Rockern und Polizisten bestand.
Viermal im Jahr trafen sie sich auf der Kirmes bei uns im Ghetto, schlugen sich gegenseitig ein bißchen Karies aus der Backe und verschossen ihr Sperma in aufgetakelten Vorstadt-Fregatten, lange bevor Ali Mente und seine Würriürs kamen und dem ganzen Gezänke die imperialistische Klasse stahlen.
Die Hoch-Zeit dieser dusseligen Kriege lag inmitten der glamourösen, cholesterinbeladenen Siebziger Jahre und alle waren sie da: Der Bissingheimer Terror Club, die Getto Angels, die Wild Angels, die Wild Wild Angels, die Violent Kickboxers, die Krankenwagen. Imposant war vor allem die damalige Straßenkleidung und deren wichtigste Accessoires: Jeanskutte, Bürstchen, Bowie-Messer, Kette, ein unterschenkelbreiter Gürtel mit einer kniescheibengroßen Schnalle, Reval Ohne, Lederboots und irgendein Bekenntnis am Körper, ob man es nun mit Black Sabbath (meist die mit Selbstmordabsichten) oder Status Quo (meist die mit Lehrstelle) hielt. Ein auf dem Unterarm eingebranntes "MSV" war selbstverständlich und somit kein Schutz vor Messer. Herrliche Rituale spielten sich ab. Man konnte an einem einzigen Abend bis zu vier echte Präsidenten auf einmal sehen und.... naja... die Weiber von damals hatten noch reelle Ärsche. Mitten in diesem stilvollen Gezumpel kletterte ich kecker Fratz nun flink unter das Holzgerüst der Raupe und sammelte Pfandflaschen und Zigarettenkippen. Das Glasgut trug ich dann brav zur Scherben-Sammelstelle und die Kippen zeigte ich meinem Papi, damit der die Halbstarken mal ordentlich verwichst. Nee, machte ich natürlich nicht, war nur ein Witz zum Lockermachen. Aber mit den zwei, drei Mark Leergutmoos und den etwa 60 bis 80 halbgerauchten als der King schlechthin. Immerhin gehörte ich nicht zu dem Kroppzeug, das an der Losbude eine Niete nach der anderen zog, nur um der Niete Brigiete dann erklären zu müssen, daß man zu blöd sei, beim Schießen dem Scheiß Teddy den Sack wegzuballern.
Als King zählte man auch nicht zu den bedauernswerten Altersgenossen, die um sechs Uhr mittags mit ihren scheiß antiauthoritären Eltern zu Abend essen mußten, nein, man war schon fein raus: Hinter den enormen Bierbäuchen der Rocker fand sich manch gutes Versteck, sodaß es an harten, rebellischen Tagen auch schon mal halb sieben werden konnte, bis man pünktlich zur aufgewärmten Suppe wieder bei seinem Rudel saß. Und was das allerbeste, sozusagen Gottes größtes Geschenk an all die Zehnjährigen dieser Erde war: Man brauchte nicht einer wildfremden Schickse mit seiner Zunge im Gesicht rumzuwedeln und einen auf Liebe machen! Das Geschlechtsteil war ja damals noch so´ne Art Leerling und grad mal gut zum Angeben und Pippimachen. Aber zurück zur Gewalt.
Der Hauptgrund, mich als kleiner Köttel überhaupt auf so eine gefährliche Kirmes getraut zu haben, war die Musik an der Raupe. Nur dort wurden Fressen zu Brei und Hits zu Hits. Videoclips brauchten wir nicht. Durch die Eingangs schon erwähnten Gestalten bekam jede Situation ihre optische Schlagsahne in AsiScope. Oft wurde daraus durch eine zufällig anwesende Spitzenbesetzung eine abendfüllende, sozialkritische Gewaltkomödie.
Frage: Was gehörte in jede vernünftige Kirmes-Juke-Box?
Antwort: Alles von Sweet, Slade, Mud, Rubettes, Gary Glitter, Suzi Quatro, Jet von den Wings, Alufolie und ein halbes Pfund Fahrchips. Dieses Gefühl der grenzenlosen Desozialisation in Verbindung mit den drei Mark Bargeld, dem Duft der erbrochenen Currywurst und dem Lichtspiel der marineblauen Martinshörner der Bullenwannen, dieses unbändige Verlangen nach nonverbaler Kommunikation, dieser Schwarze Krauser in der Lunge - all das weist dann den Weg, den ein Mann irgendwann wohl gehen muß.
Als die meisten Motzer Jahre später aus dem Knast entlassen wurden und erstmal auf den Rummel gingen, um ordentlich herumzustänkern, kuckten sie ziemlich blöd aus der Wäsche. Während ihrer Abwesenheit war die Kirmes inzwischen zu einer Karikatur der Sünde, einem Mini-Sodömchen verkommen und manch einst so stolzer Schützenvogel hatte arg Federn gelassen. Verdammt - die Zeiten hatten sich geändert. Heike, die Ex, hatte inzwischen drei Kinder von Walter, dem Arsch, bekommen, der Vollrausch war out und das Establishment duzte jeden noch so schrägen Schläger. Wie doof muß man sich mit seinen aufregenden Tattoos wohl vorgekommen sein, wenn einen der SPD-Gruppenführer plötzlich auf eine gepflegte Zuckerwatte einlud? Ziemlich offensichtlich, daß sich der Adventurepark von selbst erledigt hatte.
Ab da waren Hank The Knife And The Jets mit ihrem Kirmes-Rock genauso überflüssig wie man selbst. Dieser rührselige Haufen Holländer hatte dem Volk 1975 gerade zwei leckere Hitschnitten geschmiert, nämlich The Guitar King und Stan The Gunman, da gab´s auch schon die LP von und mit Knonstop Knife. Das Cover erinnert direkt angenehm an den Logenplatz an der Rock-Raupe, der Film ist sowieso derselbe: Bier, Kippen, schmierige, wilde Jungs und das berühmte Messer, geradezu religiös in´s Holz gestochen. Mit ihrem größten Trumpf in Sachen Kindererschrecken konnte mich die Band allerdings nicht mehr sonderlich beeindrucken - ich hatte ihre Gesichter schon ein paar Wochen vorher in Ilja´s "Disco" gesehen und mich langsam daran gewöhnt.
Die Jets waren im Prinzip eine stinknormale Schießbudenkapelle. Eine Absplitterung von den nicht minder beknackten Long Tall Ernie & The Shakers, na toll. Alle Instrumente waren schön plugged in, damit auch ordentlich herumgeglittert werden konnte. Also besondere Obacht beim klatschenden Schlagzeugsound, der saftigen Rhythmusgitarre und den zahlreichen Overdubs, die auch heute noch jeder Studiofuchs erzeugen kann, wenn er sich, vor einem Neumann-Mikrophon hockend, im paar-Viertel-Takt kräftig auf den Hintern haut (oder bei wichtigen Refrains wahlweise auf die frisch rasierte Wange). Was nun den Reiz dieser Band ausmachte, kann eigentlich jeder Depp anhand des "Disco"-Videos oder der LP selbst beantworten, ich sag´s aber gern nochmal: Es war der Haarschnitt vom Sänger Pierre J. Beek. Pierre war außerdem noch der Erfinder des 1-PS-Wankelmotors und das sah in etwa so aus: Er stand breitbeinig zum Beispiel vor einer Kamera, das Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft und wenn das Playback...sorry, natürlich die Band dann animalisch loslegte, wiegte er seinen Oberkörper bis zur ästhetischen Schmerzgrenze im trägen Takt der Kirmesklopper. Sein Kopf: Parallel wedelnd - nicht entgegengesetzt. Das gab der Musik auch einen gewissen optischen Swing und das kam an bei Leuten wie mir, die doch von Haus aus immer stark auf´s Äußere achten. Am schärfsten aber war seine Gäste-WC-Matte, die ich im folgenden großzügig "Haarschnitt" nennen werde: Gestützt auf zwei mächtigen Kotletten verläuft das Fundament eng am Schädel vorbei hinunter zum Hinterkopf, wo es in der Schulterpartie mit einem elastischen Nackendübel verankert ist. In Höhe der Mittelrübe, also da, wo die Stirn ihren höchsten Punkt erreicht, verbindet eine etwa bauchbindendicke Strähne ein Ohr mit dem anderen. Ich kann das Ohr verstehen. Der Mann wirkte auf den alten Dokumentarfilmen immer sehr zufrieden - vielleicht wäre eine interessante Frisur auch für andere Leute der Ausweg aus der Isolation? Klar, ruhig mal auf den Staat schimpfen, der versteht Spaß, doch merke: Pflegt die Haare Scher´ und Fön - ist Randale doppelt schön!
Der Häuptling und Obermuftie dieser grandiosen Band vom linken Niederrhein war aber ihr Namensgeber Henk Bruysten (geb. 30.5.46 in Arnhem, gel. 30.5.75 in Glamour). Henk sah nicht nur aus wie ein auszubildender Zuhälter, er spielte auch ganz gefährlich aus dem Handgelenk, so durch und durch verdorben. Und halfzwar den Baß, den speziellen mit sechs Saiten. Wohlgemerkt als Soloinstrument! Das klang oft nach Duane Eddy und ollem Hot-Rod-Sound, war aber härter und individueller als andere Gipsgruppen mit ihren popeligen, dünnen Strings. Mona sagt mir gerade, ich soll die Welt mal darauf hinweisen, daß diese Gruppe mit zwei (zwei!!) Bässen spielt und nicht immer um den heißen Brei herumreden. Wie schön, daß es die Frauen gibt.
Während Henk also mal wieder wieselflink über die dicken Därme seines als Sologitarre eingesetzten Schock-Basses fegte, ging zur gleichen Zeit im Ruhrgebiet ´ne Katze tot. Möglicherweise sind auf der LP sogar noch andere Knaller drauf. Zum Beispiel mystische Instrumentals, die sich so anhören, als würde ein begabter Opel Admiral Morricones Lied vom Tod knattern. Resultat: Der erste Spaghetti-Western-Soundtrack für Autos verpestete die Waschanlagen Westeuropas. Ich finde, das ist schon einen Platz im Pop-Olymp wert, meinetwegen auch einen auf dem Beifahrersitz. Absatz.
Die Kirmes in Duisburg-Großenbaum gibt´s übrigens immer noch. Und wenn sich das Jagen und Sammeln von Leergut im Laufe der Jahre durch strenge Auflagen der großen Pfandflaschenversicherungen nicht so arg verkompliziert hätte, würde ich mich mit einem Walkman schützen und da glatt wieder hingehen.

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