ALICE COOPER
LACE AND WHISKEY
(USA 1977)

Um fremde Frauen scharf zu machen, gibt es eigentlich nichts besseres, als eine Flasche Whisky am Hals zu haben. Zumindest dachte ich das in den Zeiten, in denen ich häufiger eine Flasche Whisky am Hals hatte, um zu zeigen, daß ich auf fremde Frauen nicht wirklich angewiesen war.
Viele fremde Frauen, auf die ich nicht angewiesen war, die ich aber scharf gemacht hätte, lernte ich mit meiner Methode nicht kennen, denn die meisten von den vielen fremden Frauen, die ich scharf gemacht hätte, auf die ich aber nicht angewiesen war, bewerteten den Coolnessfaktor eines Mannes eher danach, ob dieser einen VW Golf fuhr, Medizin studierte oder Tennis spielte. Ich kam erst Jahre später drauf, daß manche Damen so ticken. Damals entzog sich ein derartig billiges Verhalten meiner Vorstellungskraft und ich war mir sicher, mit meiner Flasche Whisky einer paarungsreichen Zukunft entgegenzutorkeln. Rückblickend betrachtet war meine Mitgliedschaft in der Whisky-Jugend schon ein weiser Entschluß, irgendwie. Man hatte bedeutend weniger Kilos zu schleppen als zwei volle Bierkästen und wesentlich weniger zu pinkeln als alle zehn Minuten. Hinzu kam, ich erwähnte es bereits, daß Whisky die Frauen scharf macht. Leider, und das ist der Haken an diesem System, reagieren die falschen Frauen auf das richtige Signal. Nämlich die Frauen, die überhaupt nicht scharf werden dürfen, weil Schärfe ihnen schadet. Frauen, die man ablehnt, Frauen, die man verschmäht und Frauen, die man gar nicht will. In meinem Fall Martina.
Martina war in meiner Berufsschulklasse und es gab zwei Sachen, die sie auszeichneten. Zum einen war sie mit 18 schon zum ersten mal geschieden, zum anderen hatte sie den Gang und das Temperament von John Wayne. Wir gingen morgens den gleichen Weg und diskutierten zwei Jahre lang die schmale Schnittmenge unserer gemeinsamen Interessen. Das war okay, aber ich genoß auch ihren Abgang, wenn um kurz vor acht die Jungs kamen.
Kurz bevor die Saison zuende ging, fand ich mich auf einer Klassenfete in einem Partykeller wieder. Ich saß an der Theke und ließ mich stilvoll mit Whisky abfüllen, während die Schlappschwänze Bier, Cola und Wasser tranken. Es entsprach meinem Image, daß ich mir ab und zu einen Zigarillo zwischen die Lippen steckte und den Leuten, die gerade neben mir standen, zuraunzte, daß ich lieber LYNYRD SKYNYRD hören würde. Ich blieb vielleicht drei, vier Stunden auf meinem Platz kleben, trank Whisky, rauchte, raunzte und drehte meinen Blick gelegentlich zur Tanzfläche, um dem Mädchen mit der aufregendsten Figur in den Ausschnitt zu glotzen. Irgendwann meldete sich meine Blase. Auf dem Weg zur Toilette fing mich Martina ab, klemmte meinen Kopf zwischen ihre Pranken und drückte mir ihre feuchten Lippen auf den Mund. Ich erstarrte, war zu keiner Reaktion fähig und ließ mich widerstandslos abschlabbern. Es waren nur zehn Sekunden Martina, aber sie kamen mir vor wie zwei Stunden Zahnarzt. Ich rang nach Luft und Worten, fand nichts von beidem und starrte auf ihre kackbraunen Korkenzieherlocken, an denen der Angstschweiß meiner Stirn klebte.
Als sie ihren Angriff beendet hatte und registrierte, daß über mein ausgebombtes Gesicht kein Grinsen huschte, hieb sie mir kumpelhaft ihre Faust in den Magen und brummte "du hast doch nichts dagegen?"
Ich schüttelte den Kopf und spürte im selben Moment, wie mein Magen auf falsche Frauen und Whisky reagiert. Ich drehte mich um, rannte zur Toilette und noch während ich mein Kinn auf die Keramik einparkte, wurde mir bewußt, daß ich nun den Kampf meines Lebens führen würde.
Ich kotzte mir Martina aus dem Hals, verdünnte sie mit rückwärts gegurgeltem Whisky und nachdem ich auch den letzte Funken Selbstachtung in´s Klo gewürgt hatte, blieb ich dort bis zum frühen Morgen liegen.
Es mag Streber geben, die wissen, wie man dreitausend Euro im Monat verdient, dafür weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn man nicht einmal mehr "dreitausend Euro" sagen kann.
In diesen Momenten beschränkt sich die Artikulation auf Vokale mit französischem Akzent und die einzige Körpersprache, die einem bleibt, gleicht der eines Käfers, der auf dem Rücken liegt und mit seinen Gliedmaßen zuckt.
Kurz nach dieser Nacht in der Toilette eines Klassenkameraden stoppte ich den exzessiven Genuß von Whisky und LYNYRD SKYNYRD. In Zukunft wollte ich mich dann doch lieber an Bier und ZZ TOP halten.
Nur ein Jahr später gab es das nächste Whiskyopfer in meinem Umfeld, aber diesmal lief es andersrum. Ich habe keinen sechs Jahre alten Scotch getrunken, ich habe keine Frauen scharf gemacht und war auf niemanden angewiesen, nein, ich war fit, vielleicht ein bißchen angetüddelt, also bestenfalls leicht besoffen und die ausgeknockte Person war jemand völlig anderes: Meine damalige Freundin Britschi.
Sie lag im Nieselregen vor der Kirche in Huckingen, aber es war kein Liegen im eigentlichen, bequemen Sinne. Britschi lag gekrümmt auf ihrem Bauch, hatte die Gliedmaßen nach einem irrationalen Zufallsprinzip wirr von sich gestreckt, und klammerte sich an den Stufen fest. Sie sah aus wie Spiderman, der gerade Superwomen bespringt. Eigentlich eine coole Art, nicht auf der Parkbank zu sitzen, aber ich ahnte schon, daß dieser Abend in Schwierigkeiten enden würde, wenn wir jetzt nicht ganz höllisch aufpassen. Es war weniger ihr Zustand, sie stand ja unter unserer Aufsicht und kotzte sich von Minute zu Minute gesünder, es war mehr die Tatsache, daß sie damals noch bei ihren Eltern wohnte und ich ihnen dummerweise versprochen hatte, das Töchterchen sicher und gesund nach Hause zu bringen.
Ich konnte mir nicht vorstellen, daß ich bei ihren Eltern, die mich sowieso nicht leiden konnten, Pluspunkte sammel, wenn ich ihnen ihre Tochter wie einen nassen Sack auf die Fußmatte lege
und kam zu dem logischen Schluß, daß es besser für alle ist, wenn Britschi in ihrem Zustand diese Fußmatte heute nicht mehr betritt. Allerdings sollte man ihre Eltern irgendwie informieren, damit sie nicht am Rad drehen. Ich hatte keine Ahnung, wie man so etwas professionell durchzieht, damit keiner der Arsch ist, aber die Hoffnung, daß uns da noch etwas einfallen würde.
Wir trugen Britschi nach oben in´s Warme und verstauten sie horizontal auf dem Boden zwischen zwei Schränken, sodaß wir sie im Blick hatten, falls sie grün werden würde.
Wir nahmen uns ein Bier und überlegten, was nun zu tun sei, ich meine, das war schon eine heikle Mission. Zum Glück konnte ich den Jungs klarmachen, daß es besser für mein gespanntes Verhältnis zu Britschis Eltern ist, wenn sie meine Person aus der Geschichte heraushalten.
Wir schielten zum Telefon. Jemand mußte die Eltern anrufen, jemand, den sie nicht kennen, damit der, der das eigentlich hätte tun müssen, auch am nächsten Tag noch kraftvoll zubeißen kann.
Um kurz vor zwölf griff Deti den Telefonhörer und wählte die Nummer, die ich ihm ansagte. Wir steckten die Köpfe zusammen, versuchten lautlos zu atmen und spürten, wie sich unsere Herzschläge miteinander verknoteten. Freizeichen. Wir starrten Deti an. Der nickte. Alles unter Kontrolle. Dann nahm ihr Vater ab und Deti legte sofort los.
"Ja, Guten Abend, ähm..", Deti hatte seine Stimme verstellt und klang nach Charles Bronson,
"...hier spricht ..äh...Westernhagen. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, daß Ihre Tochter bei mir ist und nicht mehr nach Hause kommt, machen Sie sich keine Sorgen, auf Wiederhören."
Bevor Britschis Vater dumme Fragen stellen konnte, hatte Deti wieder aufgelegt. Jetzt breitete er die Arme aus, als wollte er nach einem großartigen Rennen die Preise einsammeln. Wir klopften ihm auf die Schultern und waren von uns selbst beeindruckt, wie cool wir diesen Krisenherd entschärft hatten. Wir tranken noch ein paar Bier und sonnten uns in dem Wissen, daß Britschis Eltern jetzt sicher beruhigt schlafen würden.
Im Nachhinein muß ich zugeben, daß wir uns da wohl geirrt hatten. Die Herrschaften zogen sämtliche Register der Panikkartei, telefonierten mit sämtlichen Personen, die man um ein Uhr nachts vollheulen kann, einschließlich der Polizei. Da hatten wir die Coolness von Britschis Eltern wohl etwas unterschätzt, aber cool ist man ja auch erst, wenn man Whisky trinkt. Vielleicht hätte ich ihnen vorher mal eine Flasche mitbringen sollen.

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